Ethik | Dialog Religion | Magie als Wissenschaft |
Quelle: D. Rüggeberg: Christentum und Atheismus im Vergleich zu
Okkultismus und Magie.
Zur Ethik
In der Einleitung hatte ich schon darauf hingewiesen, daß aus okkulter Sicht zwischen einer absoluten und einer relativen Ethik zu unterscheiden ist. Durch ihre Analogie zu den göttlichen Grundeigenschaften sind die Gesetze der absoluten oder universalen Ethik zeitlos und unwandelbar, sie waren, sind, und bleiben demnach immer dieselben. Die absolute Ethik wurde seit Urzeiten von den Eingeweihten in den Mysterienschulen gelehrt, deren Lehrmeister wiederum die Engel, Genien und Intelligenzen der Hierarchie waren. Entsprechend dem Entwicklungsstand der Menschheit wurden den Völkern immer nur Bruchstücke der Universalgesetze zugänglich gemacht, meistens in Form von Mythen und Symbolen, wovon ja auch die Bibel noch Zeugnis abgibt.
Die Gesetze der relativen Ethik, zeitgebunden und vergänglich, haben gewöhnlich mit den absoluten wenig Gemeinsamkeiten, stehen sogar oft zu diesen im direkten Widerspruch, da sie hauptsächlich mit der politischen Machtausübung von Herrschern und Priestern zusammenhängen. Für die Beurteilung einer Ethik ist also die Frage nach der Quelle derselben von entscheidender Bedeutung. Leider wurden die Quellen in der Bibel durch einen einfachen aber sehr wirksamen psychologischen Trick verschüttet, indem man bei jeder passenden Gelegenheit Aussprüche einfügte wie „Gott hat gesagt“, „Gott hat gesprochen“, „Gott hat befohlen“ oder „Gott will dies“. Durch diesen Mißbrauch des göttlichen Namens, eine wahre Praxis der Gotteslästerung, haben Herrscher- und Priesterschaften durch Jahrtausende ihre Verbrechen maskiert und ganze Völker zu Narren gemacht, wovon der Katholik Hitler mit seiner „Vorsehung“ nur ein besonders zeitnahes und prägnantes Beispiel ist. Kurz gesagt, wer bei der Betrachtung der biblischen Ethik den genannten Unterschied nicht sehr genau beachtet, wird kaum zu einem klaren Urteil kommen können, insbesondere bezüglich der Widersprüche im Alten Testament.
Sozusagen als Einleitung zu den Zehn Geboten möchte ich ein paar Sätze von Frau Blavatsky über Moses zitieren: „Die Kabbalisten erklären die Allegorie von den feurigen Schlangen, indem sie sagen, daß dies der dem Stamme Lei, kurz gesagt, allen Leviten gegebene Name war, und daß Moses das Haupt der Sodalen (der Priesterkollegien, d. V.) war. An dieser Stelle angelangt, wollen wir nun unsere Betrachtungen beweisen. Moses wird von mehreren alten Geschichtsschreibern als ägyptischer Priester erwähnt; Manetho sagt von ihm, er wäre ein Hierophant von Hieropolis und ein Priester des Sonnengottes Osiris gewesen, und daß sein Name Osarsiph war. Jene Modernen, die als Tatsache annahmen, daß er ,bewandert war in aller Weisheit' der Ägypter, müssen sich demnach der richtigen Deutung des Wortes Weisheit unterwerfen, ein Wort, das in der ganzen Welt als gleichbedeutend galt mit Initiation in die geheimen Mysterien des Magi (120).“
Daß Moses ein Eingeweihter der Magie und Kabbalist war, hat Bardon in seinem Werk „Der Schlüssel zur wahren Kabbalah“ ausreichend bestätigt. Es heißt dort z. B.: „Die ,M-N-D'-Formel verlieh Moses und allen Propheten in den höchsten Prophetenschulen absolutes Wissen und erleuchteten Verstand; außerdem die Erlaubnis, das höchste Wissen — wenn auch nur in Symbolform — der materiellen Welt zu hinterlassen. Eben diese Formel war es, welche Moses die Erleuchtung brachte, als er die Tafel der Gesetze aufstellte (121).“
Zur praktischen Magie des Wortes, der Kabbalah, werde ich im nächsten Kapitel noch kurz Stellung nehmen. Die Zehn Gebote weisen bereits durch ihre Anzahl hin auf einen Zusammenhang mit den bereits besprochenen zehn Sefiroth, den zehn kabbalistischen Schlüsseln, wie Bardon sie nennt. Es darf somit angenommen werden, daß in den Zehn Geboten die Gesetze der absoluten Ethik besonders rein zum Ausdruck kommen. Tatsächlich sind Zusätze aus der relativen Ethik kaum vorhanden, wie der Text zeigt in 2 Mose 20:
1. „Und Gott redete alle diese Worte und sprach: ,Ich bin der HERR (JHVH, d. V.), dein Gott, der ich dich aus dem Land Ägypten, aus dem Sklavenhaus herausgeführt habe. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir'.“
2. „Du sollst dir kein Götterbild machen, auch keinerlei Abbild dessen, was oben im Himmel oder was unten auf der Erde oder was in den Wassern unter der Erde ist. Du sollst dich vor ihnen nicht niederwerfen und ihnen nicht dienen. Denn ich, der HERR, dein Gott, bin ein eifersüchtiger (eifervoller, d. V.) Gott, der die Schuld der Väter heimsucht an den Kindern, an der dritten und vierten Generation von denen, die mich hassen, der aber Gnade erweist an Tausenden (von Generationen) von denen, die mich lieben und meine Gebote halten.“
3. „Du sollst den Namen des HERRN, deines Gottes, nicht zu Nichtigem (Falschem, Lügenhaften) aussprechen, denn der HERR wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen zu Nichtigem ausspricht.“
4. „Denke an den Sabbattag, um ihn heilig zu halten. Sechs Tage sollst du arbeiten und all deine Arbeit tun, aber der siebte Tag ist Sabbat für den HERRN, deinen Gott. Du sollst an ihm keinerlei Arbeit tun, du und dein Sohn und deine Tochter, dein Knecht und deine Magd und dein Vieh und der Fremde bei dir, der innerhalb deiner Tore wohnt. Denn in sechs Tagen hat der HERR den Himmel und die Erde gemacht, das Meer und alles, was in ihnen ist, und er ruhte am siebten Tag; darum segnete der HERR den Sabbattag und heiligte ihn.“
5. „Ehre deinen Vater und deine Mutter, damit deine Tage lange währen in dem Land, das der HERR, dein Gott, dir gibt.“
6. „Du sollst nicht töten.“
7. „Du sollst nicht ehebrechen.“
8. „Du sollst nicht stehlen.“
9. „Du sollst gegen deinen Nächsten nicht als falscher Zeuge aussagen.“
10. „Du sollst nicht das Haus deines Nächsten begehren. Du sollst nicht begehren die Frau deines Nächsten, noch seinen Knecht, noch seine Magd, weder sein Rind noch seinen Esel, noch irgend etwas, was deinem Nächsten gehört.“
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Dazu möchte ich noch ein paar Zeilen aus den Apokryphen zitieren: „Verfalle ja nicht auf die längst aufgegebene Ansicht, Moses habe aus Rücksicht auf Mäuse, Wiesel oder ähnliches Getier diese Gesetze gegeben! Vielmehr wurden diese heiligen Gebote nur zum Zweck der Gerechtigkeit erlassen, um fromme Gedanken zu wecken und den Charakter zu bilden (122).“ Deutlich genug gesagt, wie ich finde, denn Moses, als hoher Eingeweihter und Kabbalist, wußte natürlich Bescheid über die Notwendigkeiten einer geistigen Entwicklung. Deshalb enthalten seine Gebote auch bereits die wichtigsten Grundlagen für eine okkulte Entwicklung, da ohne praktische Charakterschulung insbesondere in der Magie nichts erreicht werden kann.
Zum ersten Gebot sagte R. Steiner u. a.: „Da haben wir den Hinweis darauf, in dem einzelnen Ich das Urbild des ,Ich', das Nachbild des göttlichen Ur-Ich zu erkennen, und zugleich den Hinweis darauf, daß derjenige, der so sein Ich als Göttliches erkennt, frei wird von der Art, wie die Menschen im alten Ägypterlande ihren Führern gegenüberstanden. Dem Willen der Eingeweihten folgte man da, da war der Mensch nicht frei (123).“ Vorne habe ich bereits auf die große Bedeutung der göttlichen Grundeigenschaften entsprechend dem Tetragrammaton JHVH hingewiesen, die sowohl in der Bibel als auch in den Werken von Steiner nicht in den gesetzmäßigen Zusammenhang gebracht wurden. Zur Einweihungsmethode im alten Ägypten führte Steiner aus, daß dort für eine Einweihung ein entsprechender Meister, Initiator oder Guru unumgänglich war, was dann vorbereitend durch Moses und die Tat des Christus überflüssig geworden ist. Der Mensch ist demnach durch das erste Gebot aufgefordert, seine geistigen Grundeigenschaften aktiv mit den göttlichen Grundeigenschaften zu verbinden. Er soll seine eigene Entwicklung nicht dadurch behindern, daß er irgendwelche untergeordneten Engel, Genien oder Intelligenzen als höchste Gottheit verehrt.
Das Verbot der bildlichen Darstellung im zweiten Gebot hängt ebenfalls mit der okkulten Wissenschaft zusammen. Gott ist Geist, und seine Grundeigenschaften sind geistige Eigenschaften, deshalb läßt er sich in seiner Machtfülle physisch niemals darstellen. Bilder des Göttlichen können zur Abstumpfung und Verflachung des menschlichen Vorstellungsvermögens sowie zu Einseitigkeiten führen, deshalb sind sie aus magischer Sicht nur bedingt zu empfehlen. Im zweiten Teil des Gebotes ist von der Schuld der Väter die Rede, wozu Steiner anmerkte: „Eine richtige medizinische Vorstellung ist damit verbunden, denn derjenige, der dieses Gebot gab, verband damit die Vorstellung, daß dann, wenn der Mensch eine reine Vorstellung von seinem Zusammenhang mit dem Göttlichen hat, auch eine gesundende Ich-Vorstellung durch das Blut fließt, und das Volk von Generation zu Generation gesund bleibt. Richtige Gedanken bewirken Gesundheit, falsche aber Krankheit. Das ist eine im echten Sinn anthroposophisch oder okkult gehaltene Vorstellung (124).“
Zum dritten Gebot gehört jener Mißbrauch, auf den ich oben schon hingewiesen habe, aber insbesondere die Verbreitung von Irrlehren und Aberglauben, wie sie von den Priestern der verschiedenen Religionen betrieben wird. Eine wahre Gotteslästerung, sofern sie gegen besseres Wissen geschieht.
Das vierte Gebot weist vom okkulten Standpunkt besonders darauf hin, daß der Mensch die Zeit eines Tages innerhalb einer Woche mit religiösen oder geisteswissenschaftlichen Studien zubringen soll. Es ist eine Aufforderung, über den täglichen Pflichten nicht die geistige Entwicklung und das Leben nach dem Tode zu vergessen, denn „die Zeit fließt wie Wasser, und kehrt nie mehr zurück“, wie Bardon sagte. Die Zeit zwischen dem Tod und der nächsten Geburt umfaßt nach den Aussagen okkulter Forscher etwa sieben- bis achthundert Jahre.
Die übrigen Gebote sind wohl jedem einigermaßen verständigen Menschen klar. Vom okkulten Standpunkt zählen die Zehn Gebote zu den absoluten Grundgesetzen der Ethik. Das Leben zeigt nun, daß oftmals die relativen Gesetze, die meistens für die Ausführung der Gerichtsbarkeit maßgebend sind, im vollen Gegensatz zu den universalen Grundgesetzen stehen. Diese Praxis nimmt im Alten Testament schon ihren Anfang, wo es beispielsweise heißt: „Wer einen Menschen so schlägt, daß er stirbt, muß getötet werden (2. Mos 21,12). Eine Zauberin sollst du nicht am Leben lassen. Jeder, der bei einem Tier liegt, muß getötet werden (2. Mos 22,17).“
Vor solchem leichtfertigen Umgang mit dem Leben eines Menschen sollte das 6. Gebot gerade bewahren, weil eben das Töten von beseelten Wesen, also Tieren und Menschen, die Weichen stellen kann für den Weg des Verderbens. Auf den Mißbrauch der absoluten göttlichen Gesetze zugunsten der relativen hatte der Christus bereits auf seine deutliche Art hingewiesen: „Trefflich hat Jesaja über euch Heuchler geweissagt, wie geschrieben steht: ,Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, aber ihr Herz ist weit entfernt von mir. Vergeblich aber verehren sie mich, indem sie als Lehren Menschengebote lehren. Ihr gebt das Gebot Gottes preis und haltet die Überlieferung der Menschen fest' (Mk 7,6).“
Gerade, weil der Christus diesen Mißbrauch der universalen Gesetze kannte, hat er die Zehn Gebote des Moses nicht nur bestätigt, sondern sie teilweise noch strenger gefaßt: „Und siehe, einer trat herzu und sprach zu ihm: Lehrer? was soll ich Gutes tun, damit ich ewiges Leben habe? Er aber sprach zu ihm: Was fragst du mich über das Gute? Einer ist der Gute. Wenn du aber ins Leben eingehen willst, so halte die Gebote. Er spricht zu ihm: Welche? Jesus aber sprach: Diese: Du sollst nicht töten; du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht falsches Zeugnis geben; ehre den Vater und die Mutter; und: du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Der Jüngling spricht zu ihm: Alles dies habe ich befolgt. Was fehlt mir noch? Jesus sprach zu ihm: Wenn du vollkommen sein willst, so geh hin, verkaufe deine Habe und gib den Armen, und du wirst einen Schatz im Himmel haben. Und komm, folge mir nach! Als aber der Jüngling das Wort hörte, ging er betrübt hinweg, denn er hatte viele Güter. Jesus aber sprach zu seinen Jüngern: Wahrlich ich sage euch: Schwerlich wird ein Reicher in das Reich der Himmel eingehen. Wiederum aber sage ich euch: es ist leichter, daß ein Kamel durch ein Nadelöhr eingehe als ein Reicher in das Reich Gottes (Mt 19,16).“
Der Christus wußte selbstverständlich, daß irdischer Besitz und das Streben danach eine Quelle der Versuchung für die Menschen ist, sei es in bezug auf ein sogenanntes Schlaraffenleben oder in Hinsicht auf den Machtmißbrauch. Jede stärkere Abweichung in die eine oder andere Richtung schließt den Schüler von der okkulten Einweihung aus, und er kann somit nicht in das „Reich der Himmel“ eintreten. Jeder wahre Schüler der Magie weiß, daß nur durch strengste Einhaltung der Gebote von Moses und Christus ein wirklicher geistiger Aufstieg zur Einweihung möglich ist, und wird sich in seinem eigenen Interesse danach verhalten. In diesem Sinne sind auch diese Worte zu verstehen: „Wenn jemand mir nachkommen will, verleugne er sich selbst und nehme sein Kreuz auf und folge mir nach. Denn wer sein Leben erretten will, der wird es verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird es erretten (Mk 8,34).“
Aus okkulter Sicht bedeutet „das Kreuz aufnehmen“, daß der Mensch durch die praktische Arbeit am Ich, dem ChristusPrinzip, die physische Materie überwindet und beherrscht, um reif zu werden für das höhere geistige Leben.
Daß die strenge Einhaltung der christlichen Ethik einmal Realität besessen hat, ist historisch nachgewiesen: „Schließlich tritt der synoptische Jesus als Nichtkrieger auf, als Pazifist; ist er frei von chauvinistischen Instinkten, von Machtambitionen. Nie erlaubt er, die ,Frohe Botschaft' mit Feuer und Schwert durchzusetzen. Vielmehr verwirft er jede Gewalt, gebietet Verzicht auf Gegenwehr, den Heroismus des Duldens, nicht den der Selbstbehauptung. Ja, er verlangt, das Böse mit Güte zu belohnen. Und in Übereinstimmung mit den neutestamentlichen Tötungsverboten wird im Christentum der ersten drei Jahrhunderte nirgends der Kriegsdienst erlaubt! — Jene absurde Unterscheidung des nachkonstantinischen Klerus, der, nach Entartung zu einer Staats- und Heeres-Kirche, den Mord im kleinen Maßstab zwar weiterhin verdammt, den tausendfachen auf dem Schlachtfeld aber plötzlich preist, kannte die alte Christenheit nicht (125).“
Wenn ein Kritiker der Religion die Frage stellt: „Und warum sollen wir Gottes Geboten gehorchen?“, dann ist die Antwort: Weil diese Gebote die moralischen Gesetze der geistig-astralen Welten repräsentieren. Diese moralischen Gesetze wirken in den geistig-astralen Welten mit der gleichen Realität wie in der physischen Welt die Naturgesetze, worauf Steiner mehrfach hingewiesen hat: „Wenn man sich in die geistige Welt hineinlebt, wird man gewahr, daß die moralische Weltordnung nicht nur eine solche Realität hat wie die physische, sondern daß sie eine höhere Realität hat. Wir erleben wirklich, daß die Welt auch moralische Gesetze als objektive Gesetze hat (126).“ Die Beachtung der göttlichen Gesetze wird somit zu einem Problem menschlicher Intelligenz und Vernunft, weil eine Nichtbeachtung der moralischen Gesetze dem Menschen in demselben Maße Schaden bringen kann, wie eine Nichtbeachtung der Naturgesetze in der physischen Welt. Aus diesem Grunde werden an den Schüler des praktischen Okkultismus besonders große moralische Anforderungen gestellt, wozu es bei Steiner heißt: „Deshalb muß jeder, der Geheimnisse über die menschliche Natur durch eigene Anschauung sucht, die Goldene Regel der wahren Geheimwissenschaften befolgen. Und diese goldene Regel ist: wenn du einen Schritt vorwärts zu machen versuchst in der Erkenntnis geheimer Wahrheiten, so mache zugleich drei vorwärts in der Vervollkommnung deines Charakters zum Guten (127).“
Die strengsten moralischen Anforderungen werden an den Schüler der Magie gestellt, weil sich der Schüler sonst gewissen gesundheitlichen Gefahren aussetzt. Die exaktesten Lehren in dieser Beziehung habe ich bei Bardon gefunden. Daraus machte ich noch ein paar Sätze zitieren: „Dem Magier dagegen dienen die Moralgesetze dazu, Seele und Geist zu veredeln. Nur in einer veredelten Seele können die Universalkräfte wirken, insbesondere dann, wenn Körper, Seele und Geist gleichmäßig geschult und entwickelt sind. — Ohne Selbsterkenntnis gibt es keinen wahren Aufstieg. — Die Charakterveredelung muß den ganzen Kursus hindurch angestrebt werden, aber schon in dieser Stufe sind überhandnehmende und schlechte Eigenschaften zu beseitigen, die das größte Hemmnis der Weiterentwicklung sind. — Welche von den geistigen Sphären Sie besuchen können, hängt von der Beherrschung der Elemente und von Ihrer geistigen und astralen Reinheit — Veredelung des Charakters — ab. ... Alle Menschen, die den Weg zu Gott suchen, sollten sich genau die Worte Christi, des großen Meisters der Mystiker, zu Herzen nehmen, die lauten: ,Liebe deinen Nächsten wie dich selbst'. Dieses Geleitwort sollte jedem Suchenden auf dem geistigen Pfad ein heiliges Gebot sein (128).“ In dem Einweihungsbuch „Der Weg zum wahren Adepten“ findet der Leser eine komplette Charakterlehre bezüglich der vier Elemente, wie sie die normale Psychologie und Psychiatrie wahrscheinlich im Laufe der kommenden tausend Jahre auch entwickeln wird. Die Anweisungen sind so genau, daß dadurch eine persönliche Führung praktisch überflüssig wird.
Mit der Frage nach der Wirksamkeit der moralischen Gesetze und den eventuellen Folgen für den Menschen durch seine Taten ist die Frage nach der Verantwortlichkeit untrennbar verknüpft. Wie leicht sich das materialistische Denken dieser schwerwiegenden Frage entledigt, das zeigt sich selbst bei einem so großen Denker wie Albert Einstein: „Wer von der kausalen Gesetzmäßigkeit allen Geschehens durchdrungen ist, für den ist die Idee eines Wesens, welches in den Gang des Weltgeschehens eingreift, ganz unmöglich — vorausgesetzt allerdings, daß er es mit der Hypothese der Kausalität wirklich ernst nimmt. Die Furcht-Religion hat bei ihm keinen Platz, aber ebensowenig die soziale bzw. moralische Religion. Ein Gott, der belohnt und bestraft, ist für ihn schon darum undenkbar, weil der Mensch nach äußerer und innerer gesetzlicher Notwendigkeit handelt, vom Standpunkt Gottes aus also nicht verantwortlich wäre, sowenig wie ein lebloser Gegenstand für die von ihm ausgeführten Bewegungen. Man hat deshalb schon der Wissenschaft vorgeworfen, daß sie die Moral untergrabe, jedoch gewiß mit Unrecht. Das ethische Verhalten des Menschen ist wirksam auf Mitgefühl, Erziehung und soziale Bindung zu gründen und bedarf keiner religiösen Grundlage. Es stünde traurig um die Menschen, wenn sie durch Furcht vor Strafe und Hoffnung auf Belohnung nach dem Tode gebändigt werden müßten (129).“
Der Begriff der Verantwortlichkeit fällt für eine solche Weltbetrachtung völlig unter den Tisch. Tatsache des Lebens ist eben, daß der unreife Mensch fast ausschließlich durch die Furcht vor Strafe von verbrecherischen Handlungen abgehalten wird. Mit dem genannten Weltbild kann man leicht Atombomben konstruieren und unschuldigen Menschen auf die Schädel werfen, denn ein göttliches Gericht gibt es nicht — glaubt Herr Einstein. Was ist denn aber, wenn tatsächlich ein Gott existiert, der mächtig genug ist, den Menschen genug Willensfreiheit für eine eigene Verantwortung zu geben? Wie sieht es aus, wenn „vom Standpunkt Gottes“ das Gesetz des Karma, das Gesetz von Ursache und Wirkung, Realität ist? Dann erweisen sich die Ansichten von Einstein als gröbster Aberglaube, und aus okkulter Sicht sind sie es auch. Dann gehen die modernen Terroristen, Massenmörder, Bombenwerfer und Folterer einem höllischen Schicksal entgegen, denn das Gesetz des Karma kennt keine Gnade. Bemerkenswert ist, daß dieser Irrglaube vom Fehlen da menschlichen Verantwortung nicht nur in den Köpfen der Atheisten herumspukt, sondern bereits höchste Kirchenkreise erfaßt hat. Dazu schreibt K. Deschner: „Denn wer über 50 Millionen Tote schreitet wie seinesgleichen, schreitet genauso über 500 Millionen Tote und mehr. Selbst wenn die Welt unterginge, interpretierte Jesuit Gustav Gundlach Pius' Xll. Lehre zum Atomkrieg (betonend, der Papst sei sich ,über die Tragweite und die Tatsachen sehr wohl klar'), bedeutete das wenig; haben wir doch, so wörtlich der Jesuit, ,nicht die Verantwortung für das Ende der Welt', sondern ,können dann sagen, daß Gott der Herr ... auch die Verantwortung übernimmt“ (130).
Einige interessante Bemerkungen finden sich bei dem berühmten Atheisten Bertrand Russell: „Meine Ansicht lautet: Das gute Leben ist von Liebe beseelt und von Wissen geleitet. Wissen und Liebe lassen sich unendlich ausdehnen. Weder Liebe ohne Wissen noch Wissen ohne Liebe können ein gutes Leben bewirken. — Das Wissen auf dem Gebiete der Ethik ist von genau der gleichen Art wie das Wissen auf anderen Gebieten; einzigartig daran ist nur, daß gewisse Ziele begehrt werden, die man nur durch rechtes Verhalten erreicht (131).“
In dem letzten Satz ist ein wichtiger Schlüssel zum Verständnis von Gut und Böse verborgen. Es werden nämlich nicht nur Ziele begehrt, die an ein bestimmtes moralisches Verhalten gebunden sind, sondern es gibt eben Ziele, die ausschließlich durch ein bestimmtes ethisches Verhalten erreicht werden können, und zu diesen gehört insbesondere jede positive okkulte Einweihung.
Weiter sagte er: „Um das gute Leben zu verwirklichen, müssen wir Intelligenz, Selbstbeherrschung und Mitgefühl vergrößern. — Der normale Mann und die normale Frau besitzen ein gewisses aktives Übelwollen, das sich sowohl gegen bestimmte Feinde richtet als auch in einer allgemeinen, unpersönlichen Freude am Unglück anderer zum Ausdruck kommt. Es ist üblich, das mit schönen Phrasen zu verdecken; die herkömmliche Moral dient fast zur Hälfte als Deckmantel dafür. — Dieses aktive Übelwollen ist die schlimmste Eigenschaft am menschlichen Charakter und gleichzeitig diejenige, deren Änderung am notwendigsten ist, wenn die Welt glücklicher werden soll. Wahrscheinlich hat diese eine Ursache mehr Kriege verschuldet als alle wirtschaftlichen und politischen Ursachen zusammen. — Es muß deshalb eines der Hauptanliegen des wissenschaftlichen Moralisten sein, die Angst zu bekämpfen. Dies kann auf zwei Arten geschehen: durch Erhöhung der Sicherheit und durch Stärkung des Mutes (132).“
Diesen Worten kann ich aus okkulter Sicht nur zustimmen. Wer allerdings mit dem Widerstand der Menschen gegen jede Änderung ihres Charakters vertraut ist, der weiß, daß solche Hoffnungen reine Utopie sind, solange damit eine Weltanschauung verbunden ist, welche ein Weiterleben nach dem Tode ablehnt. Solche Weltanschauung wird vielmehr zunehmend zu jener Ethik führen, von der Russell an anderer Stelle spricht: „Wie uns aber die Anthropologie zeigt, haben sich die Ansichten der Menschen über Gut und Böse in einem solchen Grad verändert, daß kein einziger Punkt gleich geblieben ist. Wir können daher nicht sagen, der Mensch könne Gut und Böse unterscheiden, sondern nur, daß es einige Menschen können. Welche Menschen? Nietzsche vertrat eine Ethik, die sich zutiefst von der Ethik Christi unterschied, und einige mächtige Regierungen haben seine Lehre übernommen. Wenn das Wissen um Gut und Böse ein Argument für die Unsterblichkeit sein soll, müssen wir zunächst klarstellen, ob wir Christus oder Nietzsche glauben sollen, und können dann argumentieren, daß die Christen unsterblich seien, aber Hitler und Mussolini nicht, oder umgekehrt. Darüber wird natürlich auf dem Schlachtfeld und nicht im Studierzimmer entschieden werden. Die über das beste Giftgas verfügen, werden die Ethik der Zukunft besitzen und werden daher die Unsterblichen sein. Unsere Gefühle und unser Glaube in bezug auf Gut und Böse sind, wie alles um uns herum, natürliche Tatsachen, die im Kampf um das Leben entwickelt wurden und keinerlei göttlichen oder übernatürlichen Ursprung haben (133).“
Natürlich kennt der materialistische Atheist keine geistigen Welten und weiß deshalb auch nicht, daß dort moralische Gesetze in derselben Art eine Realität sind, wie Naturgesetze in der physischen Welt. Wenn man sich eben nicht bequemen will zu einer wissenschaftlichen Erforschung der geistigen Welten auf breiter Basis, dann wird man noch lange damit leben müssen, daß den Menschen die Ethik derer aufgezwungen wird, die das beste Giftgas oder die besten Raketen und Flugzeuge haben. Ein „gutes Leben“ wird dabei allerdings wohl kaum herauskommen, was aus den Realitäten der Gegenwart leicht abzulesen ist.
In der Bibel werden die Gesetze des Karma als „Gebote Gottes“ bezeichnet und entsprechend dem früheren Entwicklungszustand der Menschheit bildhaft als Liebe und Güte Gottes auf der einen und als Zorn und Rache Gottes auf der anderen Seite ausgedrückt. In den modernen okkulten Lehren von Reinkarnation und Karma sind diese Bilder längst dem modernen Sprachgebrauch angepaßt worden, aber die offiziellen Vertreter der Naturwissenschaft wollen sich eben mit solchen unbequemen Gedanken nicht befassen. Im Gegenteil, sie ziehen es vor, dem Aberglauben der Kirche noch einen weiteren hinzuzufügen. Durch die Massenmorde dieses Jahrhunderts ist längst bewiesen worden, daß die Ethik der Vergangenheit einer Ergänzung durch die okkulte Geisteswissenschaft bedarf. Die christlich-atheistische Ethik ist jedenfalls nicht geeignet, die menschliche Entwicklung in eine harmonische Zukunft zu führen, sondern wird wie früher von vielen Massenmördern und Terroristen als Entschuldigung für ihre Verbrechen verwendet werden, bis über jene Zeiten hinaus, die Steiner den „Krieg aller gegen alle“ genannt hat. Obwohl für mich die positive ethische Haltung von Einstein und Russell grundsätzlich außer Zweifel steht, kann ich dies nicht von ihren ethischen Aussagen behaupten. Von Nobelpreisträgern kann man erwarten, daß sie sich der Tragweite ihrer Aussagen als Vordenker bewußt sind. Ihre ethischen Urteile werden von vielen Nachdenkern mit Begeisterung aufgenommen werden, um auf der Erde das Chaos zu fördern, gemäß dem Satz: „Nach mir die Sintflut!“.
Es zeigen die Fragen kritischer Denker immer wieder, daß der Unterschied zwischen universaler und relativer Ethik nicht berücksichtigt wird: „Die Beziehungen zwischen den Menschen und Gott können sich allein auf moralische Eigenschaften gründen. Wenn diese Eigenschaften jedoch im Falle Gottes den Menschen nicht bekannt sind, so können sie den Menschen auch nicht als Vorbild dienen. Wie soll man sie dann nachahmen (134)?“
Die Eigenschaften sind eben nicht unbekannt, wie der Verfasser meint. Vielmehr haben die wahren Heiligen und Eingeweihten aller Völker und Zeiten recht deutlich auf diese Eigenschaften hingewiesen, wie auch in diesem Kapitel gezeigt wurde. Erkennen kann man die universalen Eigenschaften daran, daß sie durch die ganze Geschichte immer dieselben geblieben sind und auch in Zukunft immer dieselben bleiben werden, weil sie eben der unwandelbaren Gottheit entsprechen. Wenn die universalen Eigenschaften und Gesetze von verbrecherischen Priestern mit dem Unrat machtpolitischer Gebote durchsetzt wurden, dann darf man die Verantwortung dafür nicht Gott zuschreiben.
Die folgende Frage erscheint mir wertvoll in diesem Zusammenhang: „Wenn ein Gott existierte und wenn dieser Gott ein von Gerechtigkeit, Vernunft und Güte erfülltes Wesen wäre, was hätte ein tugendhafter Atheist dann zu fürchten, der im Moment seines Todes — in der Annahme, für immer zu entschlafen — einem Gott gegenüberstände, den er Zeit seines Lebens verkannt und ignoriert hat (135)?“
Aus okkulter Sicht hätte ein solcher Atheist nicht mehr zu fürchten als jeder Christ, Moslem, Hindu oder Buddhist, der tugendhaft lebt, denn die Richter der Saturnsphäre urteilen nach den Taten, und nicht nach dem Glauben, was auch in der Bibel oft genug ausgeführt ist. Der Begriff der Gottesfurcht wurde wahrscheinlich von den Eingeweihten deshalb eingeführt, um die Menschen auf die Gnadenlosigkeit der geistigen Gesetze hinzuweisen, nach denen jede böse Tat durch eine gute ausgeglichen werden muß, wenn der Mensch nicht den Pfad der Finsternis beschreiten will. Ein gnadenhaftes Eingreifen Gottes gegen die Gesetze des Karma findet nicht statt. Eine solche Gnade ist lediglich ein Teil des christlichen Aberglaubens.