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Rudolf Steiner über die Notwendigkeit eines Guru für die geistige Entwicklung
"In den alten Zeiten war es strenge Regel, und es ist heute noch für viele Initiationen, die in der Welt sind, strenge Regel, daß der, der den geschilderten Weg sucht, eine Art von Führer hat, den man in gewissen Kreisen eben den geistigen Führer, den Guru nennt. Was ist die Aufgabe dieses Guru? Nun, wir haben gesehen, daß man im Verlaufe jener inneren Entwickelung, die geschildert worden ist, vor gewisse Gefahren kommt, Gefahren, vor denen man gewarnt werden soll. Zunächst ist die Aufgabe gewesen in denjenigen Initiationen, die noch aus den alten Zeiten sich herübergeerbt haben, daß der Guru ein Warner ist. Das kann er auch noch heute sein, wenn er einfach die Person ist, die man als eine Art von Lehrer aufsucht wie in der äußeren Wissenschaft und zu der man Vertrauen hat.
Aber es ist außerordentlich naheliegend, daß das, was der alte Guru sein mußte, der neue sein will, was er aber nimmer sein darf und immer weniger wird sein dürfen, je mehr sich die Initiation dem fortschreitenden Entwickelungsprozeß der Menschheit anpassen wird. Im Grunde genommen fing die Initiation überall so an, wie geschildert worden ist. Dem Menschen wurden - nur daß er seinen persönlichen Führer hatte - die einzelnen Regeln gegeben: jetzt sollst du dich auf das, dann auf jenes konzentrieren, jetzt sollst du diese, dann jene Übung machen; dann wurde unter strenger Führerschaft der Zustand herbeigeführt, in welchem die Welt der Imagination eintrat. Während nun - es liegt das in der Natur des modernen Menschen - der moderne Mensch dahin kommen muß, durch seinen eigenen energischen Willensentschluß das in sich zu haben, was geschildert worden ist: die Imagination in die Inspiration hinaufzuführen, wurde von dem alten Guru die Aufgabe übernommen, den Schüler aus der Imagination in die Inspiration hinaufzuführen durch gewisse Einflüsse, denen dann der Mensch eben leichter zugänglich ist, wenn er bis zu einer solchen Stufe der Initiation gebracht ist, so daß das, was hier geschildert worden ist als im Menschen selber sitzend, dann als ein Impuls ausgeübt wird von dem Guru auf den Schüler. Es wird gleichsam von dem Guru in den Schüler hinüber verpflanzt etwas, wodurch Ordnung hineinkommt in sein imaginatives, in sein visionäres Leben. Damit aber hat der Guru den Schüler vollständig in der Hand; dadurch ist der Schüler in gewisser Beziehung ein Werkzeug in den Händen des Guru. Und Sie verstehen, daß dadurch verknüpft war mit allen alten Initiationen, von denen im Grunde genommen auch alle religiösen Bekenntnisse ausgegangen sind, die strenge Forderung, daß der Guru, daß der Initiator über jede Unmoralität, über jede Möglichkeit, einen unrichtigen Einfluß auf den Schüler auszuüben, erhaben war, daß er in seiner ganzen Gesinnung über die Möglichkeit des Betruges erhaben sein mußte und daß nur dann etwas herauskommen konnte, wenn er diese Eigenschaft hatte, daß er seinen Einfluß nur dahin wandte, die von ihm selbst gewonnenen Erkenntnis-Bilder der höheren Welt auf den Schüler zu übertragen, so daß er dem Schüler den Weg erleichterte.
Ich glaube, es wird für Sie nicht vieler Beweise bedürfen, wenn Sie unbefangen den Gang des modernen Bewußtseins einsehen wollen, daß die Menschheit auch in bezug auf die höheren übersinnlichen Erkenntnisse sich immer mehr und mehr unabhängig machen wird von dem persönlichen Einfluß. Das liegt einfach in der fortlaufenden Entwickelung der Menschheit. Die Gurus, die ihre Schüler so um sich versammelten wie eben Religions- oder Sektenstifter, werden immer mehr und mehr aus dem Menschheitsentwickelungsprozeß verschwinden; an ihre Stelle werden für diejenigen die die Initiation suchen, die Menschen des Vertrauens treten, des Vertrauens, das man gewinnt, wie man auch das Vertrauen zu einem anderen Lehrer gewinnt. Aber es muß sozusagen der selbstgewählte Lehrer, der nicht von irgendeiner Seite her festgesetzte Guru sein. Sektenstifterei in der Weise der alten Adepten, das ist nicht etwas, was die Menschheitsnöte überwinden wird. Und es ist sogar gut, wenn in bezug auf diese übersinnliche Entwickelung die Menschen nicht sehr leichtgläubig, sondern sehr schwergläubig sind, wenn sie sich nicht einmal und zweimal, sondern vielmal fragen, wem sie ihr Vertrauen entgegenbringen sollen, und wenn sie viel, viel Mißtrauen aufzubringen vermögen, wenn von außen her ihnen irgend etwas wie ein Prophet, wie ein Sektenstifter, wenn ein Adept ihnen wie ein großer Lehrer aufgedrängt werden soll. Das wird gerade auf dem Gebiet, das hier gemeint ist, immer eine gefährliche Klippe sein, wenn geistige Strömungen, die Okkultismus in die Welt bringen wollen, vor allen Dingen sich auf große Lehrer berufen, auf diejenigen, die von außen her den Menschen aufgedrängt werden sollen, die nicht aus dem selbstverständlichen Vertrauen, aus innerem Vertrauen, das aus der Begegnung mit dem Lehrer hervorgeht und das sich im Schüler selbst bildet, hervorgeht. Wir haben ja in gewisser Beziehung ein klassisches Beispiel erlebt, das gerade hier erwähnt zu werden nicht unnötig ist. Wir haben das Beispiel erlebt, daß in den letzten Jahrzehnten eine Persönlichkeit aufgetreten ist, die in die Menschheit große bedeutsame Erkenntnisse gebracht hat; nicht solche, die von der äußeren Aufklärung anerkannt werden, aber solche, die sich durch ihre innere Gediegenheit als etwas entpuppt haben, was tief gerade in die übersinnlichen Geheimnisse hineinführt. So etwas ist ja enthalten in den Büchern der in gewissen Kreisen berühmten H. P. Blavatsky. Was in diesen Büchern steht, das ist auch für denjenigen, der in diesen Dingen bewandert ist, zuweilen etwas außerordentlich Großes, Bedeutungsvolles, was mehr in die Geheimnisse des Daseins hineinführt als irgend etwas anderes. Aber leider stand am Ausgangspunkt der okkulten Bewegung, die damit eingeleitet worden ist, etwas, was dieser okkulten Bewegung geschadet hat, was ich zwar hier nicht als eine Unrichtigkeit hinstellen will -- im Gegenteil, es hat geschadet, trotzdem es seine Richtigkeit hatte: H. P. Blavatsky hat sich auf Lehrer berufen, die der Welt nicht bekanntgeworden sind, auf ihre Gurus. Wer eine Einsicht hat in die Fähigkeiten der H. P. Blavatsky, weiß, daß sie durch diese nicht in der Lage war, selbständig zu den Dingen zu kommen. Zu diesen hohen Erkenntnissen hätte H. P. Blavatsky durch ihre Fähigkeiten niemals kommen können. Sie empfehlen sich durch sich selbst, soweit sie wahr sind, und sie können nachgeprüft werden. Daher schadete es nichts, daß H. P. Blavatsky hinweisen mußte auf Überlieferungen, auf Schulungen, die von Gurus ausgingen und zu denen sie selber niemals hätte kommen können. Ihrer Bewegung hat es selbstverständlich geschadet, daß nicht auf die innere Wahrheit des Okkultismus, sondern auf äußere Autorität hin die Dinge angenommen worden sind. So gutwillig es mancher hinnehmen wird, die Zeit ist vorüber, ob berechtigt oder unberechtigt, die Notwendigkeit der Zeit lehrt es, daß das vorüber ist als Möglichkeit, dass auf Autorität von Gurus hin die Dinge einfach aufgenommen werden. Aufgenommen werden müssen die Dinge auf die Autorität des gesunden Menschenverstandes hin. Und so darf Ihnen das, was gewonnen werden kann auf dem Wege, der geschildert worden ist etwa in solchen Schriften wie in meiner «Theosophie», so entgegentreten, daß es zwar nur in der heute beschriebenen Art erforscht werden konnte, daß es aber, wenn es als Ergebnis nun da ist, geprüft werden kann, verglichen werden kann mit den Tatsachen des Lebens und auf keine Autorität hin bloß angenommen zu werden braucht. So wird die Initiation nur als eine richtige aufzufassen sein, wenn bei ihr heute berücksichtigt wird, daß sie sich anpaßt dem modernen Kulturprozeß, dass sie Mittel und Wege beschreitet, die jedem Menschen zugänglich sind.
Gewiß, es wird noch lange dauern, daß Menschen von diesem oder jenem Bildungsgrade, auch von dieser oder jener wissenschaftlichen Höhe noch Rat brauchen von einem okkulten Lehrer, daß ihnen die Initiation erleichtert werden muß durch einen solchen, der sie schon empfangen hat, in den schon eingedrungen sind die Inspirationen einer höheren Welt, denn er allein kann in den Einzelheiten die richtigen Ratschläge geben. Aber das Verhältnis kann nur ein solches sein zwischen Schüler und Lehrer, wie es auch sonst in unserer heutigen Kulturwelt ist zwischen dem, der etwas lernen will, und dem, der etwas lehren kann. Alles Geheimnisvolltun mit Adeptentum, alles Hintreten vor die Welt mit der Anforderung: Glaubt an irgendwelche neue Propheten oder Religionsstifter -, all das wird zurückgewiesen werden von dem modernen Kulturgeist, von dem modernen wissenschaftlichen Geist und empfiehlt sich schon durch die einzige Tatsache nicht, daß es dem modernen Kulturgeist widerspricht. Was man auch sagen mag von Lehrern, die auftreten sollen: das einzige, was verbürgen wird in der Zukunft, daß einer Lehrer sein kann, wird nur das Vertrauen in seine Leistungen sein, in die Art und Weise, wie er sich gibt, wie er ist. Das Vertrauen muß es sein, durch das derjenige, der Rat haben will, hingelenkt werden kann zu dem Lehrer. Sonst, wenn diese Vorsicht nicht geübt wird, gerade auf okkultem Gebiet, wo Initiation gesucht wird, dann wird die Gefahr nicht von der Welt weichen, die immer da sein muß durch das Bedenkliche des geschilderten Gebietes: die Gefahr, die einfach in der Tatsache besteht, daß auf diesem Gebiete unmittelbar neben dem gewissenhaften Initiierten, der auf gewissenhafte Weise seinen Weg gesucht hat in die übersinnlichen Welten und die Ergebnisse der Welt vermittelt, sich hinstellt der Scharlatan. Scharlatanerie ist das, was sich so leicht hinstellen kann neben die gewissenhaften, vom Wahrheitsgeist diktierten Ergebnisse des Okkultismus oder der Initiation. Und weil in unserer Zeit ebenso groß ist die Leichtgläubigkeit, die Sensationslust gegenüber Mitteilungen aus der übersinnlichen Welt, die aus der Initiation heraus stammen, wie auf der anderen Seite die Zweifelsucht - weil es fast ebenso viele Menschen gibt, die gleich mit ihrem Glauben bei der Hand sind auf die Autorität dieses oder jenes hin, wie es Menschen gibt, die alles ableugnen, was auch mit den strengsten Methoden übersinnlicher Forschung gewonnen ist, muß heute allgemein verbreitet werden ein zu den okkulten Tatsachen führender Forschungsweg, wie er heute eben geschildert worden ist als Initiation. Und dieser Initiationsweg ist ein solcher, der von jedem Menschen betreten werden kann, dessen Ergebnisse aber sich dem gesunden Menschenverstand ebenso aufdrängen können wie andere Ergebnisse der Wissenschaft, die auch hingenommen werden vom unbefangenen Menschenverstand, ohne daß man sie vielleicht in jeder Lage prüfen kann. Man weiß von den Tatsachen, die in unserer Klinik zum Beispiel oder anderswo gewonnen werden, daß sie jeder untersuchen kann, wenn er sich die dazu notwendige Methode aneignet; man kann aber doch nicht alles nachprüfen, man nimmt das hin, was sich dem Menschenverstand als geeignet erweist, was sich ihm als wahr ergibt. So und nicht anders kann es auch sein mit den Ergebnissen der Initiation. Nicht ein jeder wird in der Lage sein, immer nachzuprüfen, aber diejenigen, die forschen, werden ihre Ergebnisse immer mehr und mehr mitteilen der Welt, und es wird sie der gesunde Menschenverstand hinnehmen, wie er hinnimmt die Ergebnisse anderer Wissenschaften. Der eine Unterschied besteht allerdings, daß die Ergebnisse der Initiation die Wahrheiten enthalten, die ein jeder Mensch braucht, um Kraft und Sicherheit in den Leiden und Freuden des Lebens zu haben, Kraft und Sicherheit zu haben in seiner Arbeit' in seinem Wirken, damit er sich nicht verliert, wenn ihm das Leben hart zusetzt, sondern er den Mittelpunkt zu ergreifen vermag, der ihn sicher den Weg zu seinen Idealen führt. Kraft aber auch können ihm die Resultate seiner Forschung geben, wenn es sich darum handelt, daß das Leben uns niederdrückt und wir Trost brauchen gegenüber dem Niederdrückenden der Welt, in der Krankheit und Tod herrschen, durch den Aufblick in die Tatsachen der geistigen, der übersinnlichen Welt, der wir angehören und aus der wir auch für diese Sinneswelt die echten, die aufrechterhaltenden Kräfte gewinnen. Denn das wird von den Ergebnissen der Initiation und des Okkultismus in die Gesinnung eindringen, was man etwa zusammenfassen könnte in die Worte, die in Empfindungsnuancen, in Gefühlsnuancen geben möchten, was über Initiation gesagt worden ist, in die Worte:
Es sprechen zu den Menschensinnen die Dinge in den Raumesweiten.
Sie wandeln sich im Zeitenlaufe.
Erkennend dringt die Menschenseele,
von Raumesweiten unbegrenzt und ungestört durch Zeitenlauf,
ins Reich der Ewigkeiten."
(Quelle: Rudolf Steiner: Die geistigen Wesenheiten in den Himmelskörpern und Naturreichen, GA 136, Vortrag in Helsingfors vom 12. April 1912) |
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