Ägyptische Einweihung Start-Eingang Franz Bardon Hermetik

Über das ägyptische Einweihungssystem von Franz Bardon

Das Einweihungssystem von Franz Bardon ist eine Erneuerung der ägyptischen Mysterien für den modernen Menschen. Es heißt dazu in seinem ersten Einweihungswerk "Der Weg zum wahren Adepten" auf Seite 359 (Ausgabe 2001):

"Der Kenner anderer Einweihungssysteme wird eine gewisse Parallele mit meinem System finden, da ja alle Wege in der Wahrheit gleich sein müssen. Als Beispiel erwähne ich hier das indische, die Schlangenkraft betreffende Yoga-System, das mit den von mir über die ägyptischen Mysterien angegebenen Systemen übereinstimmt."

In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, daß Rudolf Steiner mehrfach darauf hingewiesen hat, daß unsere gegenwärtige Kulturepoche in einem inneren Zusammenhang steht mit der ägyptischen. Besonders deutlich sind seine Darlegungen in Vorträgen aus dem Jahre 1908, die ich nachfolgend anführe:

 

Rudolf Steiner
Welt, Erde und Mensch
deren Wesen und Entwicklung,
sowie ihre Spiegelung in dem Zusammenhang zwischen ägyptischem Mythos und gegenwärtiger Kultur

(GA 105, Rudolf Steiner Nachlaßverwaltung, Dornach 1960)

S. 16-17: .... selbst eintreten, sondern uns erst ein wenig über das verständigen, worüber wir in den nächsten Tagen reden wollen. Denn wir haben im Grunde genommen ein weites, umfangreiches Thema vor uns: Welt, Erde und Mensch, das heißt, eine Skizze von dem Umfange alles Wissens, das wir uns über die sichtbaren und unsichtbaren Welten aneignen können. In die fernsten Fernen des Kosmos werden unsere Gefühle hinausgetragen, wenn im ernsten und würdigen Sinne der Ausdruck „Welt" gebraucht wird. Auf den Schauplatz, auf den die Menschheit gestellt ist, auf dem wir leben und wirken sollen, den wir verstehen sollen nach seinen Aufgaben, seinen Zielen, weist uns das Wort „Erde" hin. Und endlich auf das, was die Mysten aller Zeiten gemeint haben mit dem Ausspruch: „Erkenne dich selbst, o Mensch", auf das weist uns das Wort hin, das wir im okkulten Sinne erfassen wollen, das Wort „Mensch". Und wir haben in unserm Thema noch einen Untertitel. Gerade daß wir uns so hohe, bedeutsame Aufgaben gestellt haben, rechtfertigt in gewisser Weise diesen Untertitel; denn wenn wir den Zusammenhang zwischen jener wunderbaren vorchristlichen Kultur, der ägyptischen, und unserer eigenen Kultur betrachten werden, dann werden wir sehen, wie geheimnisvolle Kräfte das Menschenleben durchdringen. Drei Zeiträume menschlichen Strebens und Forschens, menschlicher Entwicklung, menschlicher Moral und Lebensführung drängen sich vor das geistige Auge, wenn die Rede ist von Ägyptertum und Gegenwart. Wenn wir im okkulten Sinne von Ägyptertum sprechen, meinen wir die lange, Jahrtausende währende Kultur, die sich im Nordosten von Afrika, an den Ufern des Nils, ausgebreitet hat und die sich bis in das achte Jahrhundert vor Christus hinein erstreckte. Wir wissen: diese ägyptische Kultur wurde abgelöst von einer ändern, die wir als die griechisch-lateinische bezeichnen und die auf der einen Seite das wunderbare, in Schönheit erhabene Volk der Griechen zum Mittelpunkt hatte und auf der andern Seite das starke Römertum. Wir wissen auch, daß in diese Kulturepoche hinein jenes große Ereignis unserer Erdenentwicklung fällt, das wir als die Erscheinung des Christus Jesus kennen. Und dann folgt unsere eigentliche Gegenwart, diejenige Epoche, in der wir selbst leben. Das Ägyptertum mit allem, was dazu gehört -

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und es gehört vieles dazu -, die griechisch-lateinische Zeit mit ihren großen Erfolgen, mit dem Hervorsprießen des Christentums aus ihr, - und unsere gegenwärtige Epoche: das sind die drei Zeiträume, die sich vor unser geistiges Auge hinstellen, wenn wir den Untertitel unserer Vorträge betrachten. Und gezeigt werden soll, daß geheimnisvolle Kräfte spielen zwischen der ersten der genannten Kulturepochen und der unseren. Es ist, als ob in der ägyptischen Zeit gewisse Keime gelegt worden sind in den Schoß der sich nach und nach entwickelnden Menschheit; Keime, die verborgen blieben während der griechisch-lateinischen Kultur und die in der gegenwärtigen Epoche auf ganz sonderbare Weise aufgehen. So daß vieles von dem, was heute in unseren Seelen emporsprießt, was uns heute umgibt, was heute die Menschen reden und träumen, was unsere Forscher denken, daß vieles davon wie ein aufgegangener Keim alt-ägyptischer Kultur ist, ohne daß die Menschen es wissen. Die meisten von Ihnen werden mehr oder weniger die Einrichtung kennen, die man im elektrischen Betriebe bei den sogenannten telegraphischen Apparaten hat. Sie wissen, von einem Orte zum andern gehen die Drähte, die die Apparate miteinander verbinden, und ohne tiefere Kenntnis über diese Dinge zu haben, werden Sie begreifen, daß die Kraft, welche die Apparate in Bewegung setzt, etwas zu tun hat mit dem, was als Kraft die Drähte durchströmt. Sie wissen aber auch vielleicht, daß unten, unter der Erde, eine Verbindung ist, daß der Draht mit seinen Enden in die Erde hineingeleitet ist. Aber diese Verbindung ist nicht sichtbar; unsichtbar wird sie durch mehr oder weniger geheimnisvolle Kräfte durch die Erde selbst hergestellt. Etwas Ähnliches besteht als tiefes Geheimnis der Menschenentwicklung. Wir sehen geschichtlich die Fäden sich spinnen, die im Offenbaren liegen. Wir können es verfolgen, was im alten Ägypterlande geschehen ist, mit den Mitteln der Geschichte und mit den Mitteln des Okkultismus. Wir sehen, wie sich die Kulturfäden herüberziehen in die griechische, in die römische, in die christliche und bis in unsere Zeit hinein. Das alles ist wie eine Art oberirdischer Leitung. Aber es gibt auch eine unterirdische, verborgene Kraft, und zwar eine solche sogar, die mehr oder weniger direkt herüberwirkt von der alten ägyptischen Zeit bis in unsere Zeit

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XI

Beziehungen zwischen den Kulturepochen der nachatlantischen Entwicklung

Wir haben weite Strecken der Menschheitsentwicklung und im Zusammenhang damit auch der Weltentwicklung vor dem Blicke unserer Seele vorüberziehen lassen. Wir haben gesehen, wie geheimnisvolle Zusammenhänge in der Weltentwicklung sich widerspiegelten in der eigentlichen menschlichen Kulturentwicklung, in der sogenannten nachatlantischen Zeit. Wir haben gesehen, wie die erste Periode unserer Erdentwicklung sich in der indischen Kultur spiegelte; wie die zweite, die der Trennung der Sonne von der Erde, sich in der persischen Kultur spiegelte; und dann haben wir versucht, so weit die Zeit es uns erlaubte, ganz besonders zu schildern und zu zeichnen, wie die mannigfachsten Geschehnisse und Ereignisse der lemurischen Zeit, die die dritte Epoche unserer Erdentwicklung bildet, und wo der Mensch die erste Anlage zum Ich erhielt, wie alle diese Geschehnisse sich in der ägyptischen Kultur widerspiegelten. Wir haben gesehen, wie die Einweihungsweisheit der alten Ägypter eine Art Erinnerung an diese Zeit ist, die die Menschheit erst während der Erdentwicklung durchgemacht hat. Und dann haben wir gesehen, wie der vierte Zeitraum, die Zeit der eigentlichen Ehe zwischen Geist und Leib, die uns so schön in den Kunstwerken der Griechen entgegentritt, eine Spiegelung der Erlebnisse ist, die der Mensch mit den alten Göttern hatte, jenen Wesenheiten, die wir als Engel bezeichnen. Und wir sahen: nichts ist zurückgeblieben, was sich spiegeln könnte für unsere Zeit, für den fünften Zeitraum, der sich jetzt bei uns abspielt. Aber es bestehen geheimnisvolle Zusammenhänge zwischen den einzelnen Kulturepochen der nachatlantischen Zeit, Zusammenhänge, auf die wir schon im ersten Vortrage hindeuteten. Sie erinnern sich, daß wir darauf hinwiesen,

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wie das Gebanntsein des gegenwärtigen Menschen an die unmittelbar sinnliche Umgebung, wie dieser, man möchte sagen, materialistische Glaube, daß nur das wirklich ist, was Geschehnis zwischen Geburt und Tod ist, was im Fleisch verkörpert ist, - wie das darauf zurückzuführen ist, daß die alten Ägypter solche besondere Sorgfalt auf die Konservierung ihrer Leichname verwandt haben. Damals hat man versucht, das, was physische Form ist vom Menschen, zu bewahren. Und das ist nach dem Tode nicht ohne Wirkung auf die Seele geblieben. Wenn die Form in dieser Weise konserviert wird, so ist in der Tat die Seele nach dem Tode in einer gewissen Beziehung noch mit der menschlichen Form verbunden, die sie während des Lebens hatte. Es bilden sich dann in der Seele Gedankenformen, die festhalten an dieser sinnlichen Form; und da der Mensch sich immer wieder und wieder verkörpert, die Seele in immer neuen Leibern auftritt, so bleiben diese Gedankenformen. Es hat sich fest eingewurzelt in der menschlichen Seele alles das, was sie erleben mußte, wenn sie aus geistigen Höhen hinunterschaute auf ihren als Mumie konservierten Leichnam. Daher hat die Seele es verlernt, den Blick abzuwenden von dem, was in das physische Fleisch eingebannt ist, und das hat es gemacht, daß zahlreiche Seelen, die im alten Ägypten verkörpert waren, heute mit der Frucht der Anschauung des sinnlichen Leibes wiederum verkörpert sind; sie können nur glauben, daß dieser sinnliche Leib das Wirkliche ist. Das wurde damals der Seele eingepflanzt. Denn all solche Dinge, die sich in einer Kulturepoche abspielen, sind durchaus nicht ohne Zusammenhang mit anderen Kulturepochen.

Wenn wir die sieben aufeinanderfolgenden Kulturepochen der nachatlantischen Zeit betrachten, so nimmt der vierte Zeitraum, der gerade in der Mitte ist, eigentlich eine gewisse Ausnahmestellung ein. Man braucht diesen Zeitraum nur exoterisch zu betrachten, und man wird gewahr werden, daß da im exoterischen Leben die wunderbarsten äußeren, physischen Dinge geschaffen werden, durch die der Mensch sozusagen in einer ganz einzigartigen harmonischen Weise die physische Welt erobert. Wer zurückblickt auf die ägyptischen Pyramiden, der wird sich sagen: in diesen Pyramiden sehen wir noch eine Art geometrischer Form herrschen, die uns symbolisch zeigt, wie die Dinge etwas bedeuten. Es hat sich noch nicht jene tiefe Ehe vollzogen zwischen dem Geiste, dem formenden Menschengeiste, und der physischen Form. Insbesondere sehen wir das deutlich an der Sphinx, deren Ursprung wir ja aus einer Erinnerung an die atlantische ätherische Menschengestalt hergeleitet haben. Wir sehen, daß diese Sphinx im physischen Leibe uns unmöglich eine unmittelbare überzeugung geben kann, trotzdem es eine große Menschheitskonzeption ist; wir sehen in ihr den Gedanken verkörpert; daß der Mensch unten noch tierisch ist und erst im Ätherkopfe sich der Mensch bildet. Aber was uns auf dem physischen Plane entgegentreten kann, das sehen wir in den griechischen plastischen Gestalten veredelt, und was uns im moralischen Leben, im Schicksale der Menschen entgegentreten kann, das sehen wir in der tragischen Kunst der Griechen. In einer ganz wunderbaren Weise sehen wir da hinausgetragen auf den physischen Plan das innere Geistesleben; wir sehen den Sinn der Erdentwicklung, soweit die Götter damit verknüpft waren.

Solange die Erde mit der Sonne verbunden war, waren auch die hohen Sonnengeister mit dem menschlichen Geschlecht verbunden. Aber nach und nach mit der Sonne verschwanden auch die hohen Götter aus dem Bewußtsein der Menschen, stufenweise bis in die letzte atlantische Zeit hinein. Es war das Bewußtsein der Menschen selbst nach dem Tode nicht mehr fähig, sich in die hohen Regionen hinaufzubegeben, wo eine unmittelbare Anschauung der Sonnengötter möglich gewesen wäre. Wenn wir uns - und vergleichsweise darf das ja geschehen - auf den Standpunkt der Sonnengötter stellen, so können wir sagen: Ich war verbunden mit der Menschheit, aber ich mußte mich zurückziehen eine Zeitlang. Sozusagen verschwinden im menschlichen Bewußtsein mußte die göttliche Welt, um dann in einer erneuerten, höheren Gestalt durch den Christusimpuls wieder aufzugehen. - Ein Mensch, der in der griechischen Welt stand, konnte noch nicht wissen, was der Erde durch den Christus kommen würde; aber der Eingeweihte, der, wie wir ja sahen, den Christus schon vorher kannte, er konnte sich sagen: Diese geistige Gestalt, die als Osiris festgehalten wurde, mußte für eine Weile unter-

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gehen für den Blick des Menschen, verfinstern mußte sich der Götterhorizont; aber das sichere Bewußtsein ist in uns, daß sie Wiedererscheinen wird, die Gottesherrlichkeit auf Erden. - Das war das kosmische Bewußtsein, das man hatte; und dieses Bewußtsein von einem Heruntersinken der Gottesherrlichkeit und von dem Wiederaufgehen, das spiegelte sich im griechischen tragischen Kunstwerke ab, wo wir sehen, wie der Mensch selbst als Abbild der Götter hingestellt wird, wie er lebt und strebt und einen tragischen Untergang findet. Aber diese Tragik schließt zu gleicher Zeit in sich, daß der Mensch doch durch seine geistige Kraft siegen könne. So sollte das Drama, das Anschauen des lebenden und sterbenden Menschen, im Grunde auch ein Abbild des großen Zusammenhanges sein. Überall sehen wir so in Griechenland, auf allen Gebieten, diese Ehe zwischen dem Geist und dem Sinnlichen. Das war ein einzigartiger Zeitpunkt in der nachatlantischen Zeit.

Nun ist es merkwürdig, wie gewisse Erscheinungen der dritten Epoche wie durch unterirdische Kanäle mit unserem fünften Zeitraum in Verbindung stehen; gewisse Dinge, die wie Keime gelegt worden sind während der ägyptischen Periode, erscheinen wieder während unserer Zeit; andere, die während der persischen Zeit als Keime gelegt wurden, werden in der sechsten Epoche wieder erscheinen, und Dinge der ersten Epoche werden im siebenten Zeitraum wiederkehren. Alles hat einen tiefen gesetzmäßigen Zusammenhang, und das Vorhergehende deutet auf Zukünftiges hin. Am besten wird uns dieser Zusammenhang dadurch klar, daß wir es an dem extremsten Falle darstellen, an dem, was den ersten Zeitraum mit dem siebenten verbindet. Wir blicken zurück auf diesen ersten Zeitraum, und wir müssen da nicht auf das, was die Geschichte berichtet, Rücksicht nehmen, sondern auf das, was in den uralten vorvedischen Zeiten da war. Vorbereitet hat sich alles das, was später hervorgetreten ist; vorbereitet hat sich vor allen Dingen das, was wir als die Einteilung der Menschen in Kasten kennen. Gegen diese Kasten mag der Europäer viel einzuwenden haben, aber in jener Kulturrichtung, die damals vorhanden war, haben diese Kasten ihre Berechtigung gehabt, denn sie hingen im tiefsten Sinne mit dem Menschheitskarma zusammen. Die Seelen, die aus der

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Atlantis herüberrückten, waren wirklich von ganz verschiedenem Wert, und es paßte in einer gewissen Weise auf diese Seelen, von denen die einen vorgeschrittener als die andern waren, das Gliedern in solche Kasten nach ihrem vorher in sie gelegten Karma. Und da in jener alten Zeit die Menschheit sich nicht so überlassen war wie in unserer heutigen Zeit, sondern wirklich in einem weit höheren Sinne, als wir uns heute vorstellen können, gelenkt und geleitet wurde in ihrer Entwicklung, - da vorangeschrittene Individualitäten, die wir die Rischis nennen, ein Verständnis dafür hatten, was eine Seele wert ist, welcher Unterschied zwischen den einzelnen Kategorien von Seelen besteht, - so liegt dieser Kasteneinteilung ein wohlbegründetes kosmisches Gesetz zugrunde. Mag es in einer späteren Zeit noch so sehr als Härte erschienen sein, in jenen alten Zeiten, wo die Lenkung eine spirituelle war, war dieses Kastenwesen ein wirklich der Menschennatur Angepaßtes. Und ebenso wie es wahr ist, daß im allgemeinen in der normalen Entwicklung des Menschen derjenige, der mit einem bestimmten Karma in die neue Epoche hinüberlebte, auch in eine bestimmte Kaste kam, ebenso wahr ist es, daß man nur dann über die Bestimmungen dieser Kaste hinauskommen konnte, wenn man eine Einweihungsentwicklung durchmachte. Nur wenn man zu den Stufen kam, wo man abstreifte das, wohin einen das Karma hineingestellt hatte, nur wenn man in Yoga lebte, dann konnten unter Umständen diese Kastenunterschiede überwunden werden. Wir wollen uns des geisteswissenschaftlichen Grundsatzes bewußt sein, daß jede Kritik der Evolution uns fern liegen muß, daß wir nur danach streben müssen, die Dinge zu verstehen. Mag diese Kasteneinteilung einen noch so schlimmen Eindruck machen, sie war im vollsten Sinne begründet, nur müssen wir sie im Zusammenhang mit einer umfassenden, gesetzmäßigen Bestimmung in bezug auf das Menschengeschlecht betrachten.

Wenn man heute von Rassen spricht, bezeichnet man etwas, was nicht mehr ganz richtig ist; auch in theosophischen Handbüchern werden hier große Fehler gemacht. Man spricht davon, daß unsere Entwicklung sich so vollzieht, daß Runden, und in jeder Runde Globen, und in jedem Globus Rassen sich hintereinander entwickeln, so daß

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wir also in allen Epochen der Erdevolution Rassen haben würden. Das ist aber nicht so. Es hat zum Beispiel schon gegenüber der heutigen Menschheit keinen rechten Sinn mehr, von einer bloßen Rassenentwicklung zu sprechen. Von einer solchen Rassenentwicklung im wahren Sinne des Wortes können wir nur während der atlantischen Entwicklung sprechen. Da waren wirklich in den sieben entsprechenden Perioden die Menschen nach äußeren Physiognomien so sehr voneinander verschieden, daß man von anderen Gestalten sprechen konnte. Aber während es richtig ist, daß sich daraus die Rassen herausgebildet haben, ist es schon für die rückliegende lemurische Zeit nicht mehr richtig, von Rassen zu sprechen; und in unserer Zeit wird der Rassenbegriff in einer gewissen Weise verschwinden, da wird aller von früher her gebliebener Unterschied nach und nach verwischt. So daß alles, was in bezug auf Menschenrassen heute existiert, Überbleibsel aus der Differenzierung sind, die sich in der atlantischen Zeit herausgebildet hat. Wir können noch von Rassen sprechen, aber nur in einem solchen Sinne, daß der eigentliche Rassenbegriff seine Bedeutung verliert. - Was aber wird dann für ein Begriff an die Stelle des heutigen Rassenbegriffs treten?

Auch in der Zukunft, und mehr noch als in der Vergangenheit, wird die Menschheit sich sozusagen differenzieren, sich gliedern in gewisse Kategorien, aber nicht in aufgezwungene Kategorien, sondern die Menschen werden aus ihrer eigenen inneren geistigen Fähigkeit heraus dazu kommen, daß sie wissen, daß die Menschen zusammenarbeiten müssen zum gesamten sozialen Körper. Kategorien, Klassen wird es geben, aber wenn auch heute der Klassenkampf noch so sehr wütet, in denjenigen Menschen, die nicht den Egoismus ausbilden, sondern das spirituelle Leben in sich aufnehmen, in denen, die sich nach dem Guten hin entwickeln, wird es so kommen, daß sie sich freiwillig eingliedern in die Menschheit. Sie werden sich sagen: der eine muß dies, der andere jenes tun. Teilung der Arbeit, Teilung sogar bis in die feinsten Impulse hinein muß eintreten; und es wird sich so gestalten, daß derjenige, der Träger für das eine oder das andere ist, nicht nötig haben wird, seine Autorität den anderen aufzuzwingen. Alle Autorität wird immer mehr freiwillig anerkannt werden, so daß

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wir im siebenten Zeitraum bei einem kleinen Teile der Menschheit wiederum eine Einteilung haben werden, welche das Kastenwesen wiederholt, aber so, daß keiner sich in die Kaste hineingezwungen fühlt, sondern daß jeder sich sagt: ich muß einen Teil der Menschheitsarbeit übernehmen und einem andern einen andern Teil überlassen - und beide werden gleich anerkannt werden. Die Menschheit wird sich nach moralischen und intellektuellen Differenzierungen gliedern und auf solcher Grundlage wird eine wiederum vergeistigte Kastenbildung eintreten. So wird, wie durch einen geheimnisvollen Kanal hinübergeleitet, sich in der siebenten Epoche wiederholen, was in der ersten sich prophetisch gezeigt hat. Und so hängt auch die dritte, die ägyptische Kulturentwicklung zusammen mit der unsrigen. So wenig es auch einem oberflächlichen Blicke erscheinen könnte, so treten doch all diejenigen Dinge in unserer Zeitepoche hervor, die während der ägyptischen Periode sozusagen veranlagt worden sind. Denken Sie sich einmal, daß die Seelen, die heute leben, zum großen Teile in ägyptischen Leibern verkörpert waren, die ägyptische Umwelt erlebt haben, dann nach anderen Zwischeninkarnationen jetzt wieder verkörpert sind und sich nun nach den angedeuteten Gesetzen unbewußt alles dessen erinnern, was sie in der ägyptischen Zeit durchlebt haben. In geheimnisvoller Weise tritt das nun wieder auf, und wenn Sie solche geheimnisvolle Beziehungen der großen Weltengesetze von einer Kultur zur andern erkennen wollen, dann müssen Sie sich mit der Wahrheit bekannt machen, nicht mit all den legendenhaften und phantastischen Darstellungen, die uns von den Tatsachen der menschlichen Entwicklung gegeben werden.

So wird zum Beispiel über den geistigen Fortschritt der Menschheit ziemlich oberflächlich gedacht. Man sieht, daß in einem bestimmten Zeitalter Kopernikus aufgetreten ist. Man sagt sich: Nun ja, er tritt auf, weil die Beobachtung in dieser Zeit gerade dahin geführt hat, daß man das Sonnensystem in Gedanken geändert hat. Wer eine solche Anschauung hat, der hat nicht einmal exoterisch studiert, wie Kopernikus zu seinen Ideen über den Zusammenhang am Himmel gekommen ist. Wer das studiert, und namentlich wer die großen gewaltigen Ideen des

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Kepler verfolgt hat, der weiß etwas anderes darüber zu sagen, und er wird noch bestärkt durch das, was der Okkultismus dazu zu sagen hat. Nehmen wir das einmal, um es uns klar vorzustellen, recht handgreiflich. Wir versetzen uns in die Seele des Kopernikus. Diese war da in der alten ägyptischen Zeit; sie hat damals an einer besonders hervorragenden Stelle den Osiris-Kultus erlebt und hat gesehen, wie Osiris als ein Wesen betrachtet worden ist, das dem hohen Sonnenwesen gleichkommt. Die Sonne stand in geistig-spiritueller Beziehung in dem Mittelpunkte des ägyptischen Denkens und Fühlens, aber nicht die äußerliche sinnliche Sonne, die nur als der körperliche Ausdruck des Geistigen angesehen wurde. So wie das Auge der Ausdruck der Sehkraft ist, so war für den Ägypter die Sonne das Auge des Osiris, der Ausdruck, die Verkörperung dessen, was der Geist der Sonne war. Das alles hatte die Seele des Kopernikus einst durchlebt, und die unbewußte Erinnerung daran war es, die ihn dazu bewog, in der Gestalt, wie es in einem materialistischen Zeitalter sein konnte, diese Idee wieder zu erneuern, diese alte Osiris-Idee, die damals spirituell war. Sie tritt uns da, wo die Menschheit tiefer heruntergestiegen ist auf den physischen Plan, in der materialistischen Ausgestaltung als Kopernikanismus entgegen. Die Ägypter haben das spirituell gehabt; sich an diesen Gedanken zu erinnern, war das Weltenkarma des Kopernikus, und das hat herausgezaubert jene Richtungskombination, die zu seinem Sonnensystem geführt hat. Und ähnlich war es bei Ke Kepler, der in noch viel umfassenderem Sinne in seinen allerdings uns sehr abstrakt erscheinenden drei Gesetzen den Wandel der Planeten um die Sonne dargestellt hat. Er hat es aber herausgeholt aus einer tiefen Konzeption. Was aber auffallend ist bei diesem genialen Geiste, das ist die Stelle, die er selbst geschrieben hat, die uns mit Schauern erfüllt, wenn wir sie lesen, und wo uns das eben Gesagte handgreiflich entgegentritt. Schrieb doch Kepler die Worte nieder: „Ich habe mich hineinvertieft in dieses Sonnensystem, es hat sich mir enträtselt; ich will die heiligen Zeremoniengefäße der Ägypter in die moderne Welt hereinbringen."

Die Gedanken, die im alten Ägypten den Seelen eingepflanzt worden sind, treten uns wieder entgegen, und unsere modernen Wahrheiten

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sind wiedergeborene ägyptische Mythen. In viele Einzelheiten hinein könnten wir das verfolgen, wenn wir wollten. Wir können es verfolgen bis in die Anlagen der Menschen hinein. Wir gedenken noch einmal der Sphinx, jener wunderbaren rätselhaften Gestalt, die dann in der griechischen Kultur die Oedipus-Sphinx geworden ist, die den Menschen das bekannte Rätsel aufgibt. Wir wissen aber auch schon, daß sie zusammengesetzt ist aus derjenigen menschlichen Gestalt, die auf dem physischen Plane noch der Tierform analog war, während ihr Ätherisches schon menschliche Gestalt angenommen hatte. In der ägyptischen Zeit war der Mensch nur imstande, die Sphinx wirklich als ätherische Gestalt zu sehen, wenn er gewisse Einweihungsstufen durchgemacht hatte. Dann aber stand sie vor ihm. Und nun ist das Wichtige, daß, wenn man eine wirklich hellseherische Anschauung hat, man sie nicht nur wie einen Holzklotz vor sich hat, sondern, daß sich gewisse Gefühle notwendig mit dieser Anschauung verknüpfen. Ein kalter Mensch kann unter Umständen an einer noch so bedeutsamen künstlerischen Erscheinung vorübergehen, ein kalter Mensch kann ungerührt bleiben; das hellseherische Bewußtsein ist nicht in dieser Lage: wenn es wirklich ausgebildet ist, wird das entsprechende Gefühl in ihm angeregt. Es ist in der griechischen Sage das richtige Gefühl ausgedrückt, das der Hellseher noch während der alten ägyptischen Zeit und in den griechischen Mysterien hatte, wenn er so weit war, daß ihm die Sphinx vor das Auge trat. Was war es denn, was ihm da vor das Auge trat? Etwas Unfertiges, etwas, was werden sollte. Er sah diese Gestalt, die in gewisser Beziehung noch tierische Formen hatte; im Ätherkopf sah er, was hineinwirken sollte in die physische Form, um diese menschenähnlicher zu gestalten. Wie dieser Mensch werden sollte, welch eine Aufgabe die Menschheit in der Entwicklung hatte, diese Frage stand lebendig vor ihm als eine Frage der Erwartung, der Sehnsucht, der Entfaltung des Kommenden, wenn er die Sphinx sah. Daß alle menschliche Forschung und Philosophie aus der Sehnsucht heraus entsteht, ist ein griechischer Ausspruch, aber zugleich auch ein hellseherischer. Man hat vor sich eine Gestalt, die nur mit astralischem Bewußtsein wahrgenommen wird, aber sie quält einen, sie gibt einem ein Rätsel auf: das

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Rätsel, wie man werden soll. Nunmehr hat sich diese Äthergestalt, die in der atlantischen Zeit da war und in der ägyptischen Zeit in der Erinnerung lebte, mehr und mehr dem menschlichen Wesen einverleibt, und sie erscheint auf der andern Seite in der Menschennatur wieder: sie erscheint in all den religiösen Zweifeln, in dem Unvermögen unserer Kulturepoche gegenüber der Frage: was ist der Mensch? In all den unbeantworteten Fragen, in all den Aussprüchen, die sich um das «Ignorabimus» drehen, erscheint die Sphinx wieder. In den Zeiten, die noch spirituell waren, konnte der Mensch sich aufschwingen, die Sphinx wirklich vor sich zu haben; heute lebt sie in seinem Innern als die zahlreichen Fragen, die ohne Antwort sind. Daher kann der Mensch so schwer zu einer Überzeugung von der geistigen Welt kommen, weil die Sphinx, die früher außen war, nachdem gerade in dem mittleren Zeitraum sich der gefunden hat, der das Rätsel gelöst, der sie in den Abgrund, in das eigene Innere des Menschen gestürzt hat, weil diese Sphinx jetzt im Innern des Menschen erscheint.

Nachdem die griechisch-lateinische Zeit mit ihren Nachwirkungen bis in das 13. und 14. Jahrhundert sich ausgelebt hat, leben wir seither in dem fünften Zeitraum. Seither haben sich immer mehr und mehr anstelle der alten Gewißheit neue Zweifel gesetzt. Immer mehr treten solche Dinge uns entgegen, und wenn wir nur wollen, können wir in vielen, vielen Einzelheiten der neueren Entwicklung die nur ins Materialistische umgesetzten ägyptischen Vorstellungen wiederfinden. Nur müssen wir uns fragen, was da denn eigentlich geschehen ist; denn eine gewöhnliche Übertragung ist es nicht: es treten uns diese Dinge nicht unmittelbar entgegen, sondern so, daß sie modifiziert sind. Alles ist in mehr materialistischer Weise ausgebildet, sogar den Zusammenhang des Menschen mit der Tierheit sehen wir, in materialistische Anschauung umgesetzt, wieder auftauchen. Daß der Mensch wußte, daß er früher seinen äußeren Leib noch nicht anders als tierähnlich gestalten konnte, daß er deshalb in der ägyptischen Erinnerung selbst seine Göttergestalten noch in Tierformen abgebildet hat, das tritt uns in den Weltanschauungen entgegen, die in materialistischer Weise den

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Menschen vom Tier abstammen lassen; auch der Darwinismus ist nichts anderes als altes ägyptisches Erbgut in materialistischer Form.

Wir sehen also: nicht bloß ein gerader Fortgang der Entwicklung ist es, der uns da entgegentritt, sondern* etwas wie eine Spaltung der Entwicklung. Ein Zweig wurde mehr materiell, einer mehr geistig. Das, was früher mehr in einer Linie gelaufen ist, spaltet sich in zwei Zweige der Menschheitsentwicklung. Gehen Sie in die alten Zeiten zurück, in die ägyptische, in die persische, in die altindische Kultur: eine für sich bestehende Wissenschaft, einen für sich bestehenden Glauben gab es da nicht. Das, was man erfaßte über die geistigen Urgründe der Welt, geht in einer geraden Linie bis zu dem Wissen von den Einzelheiten herunter, und man kann aufsteigen von dem Wissen der materiellen Welt bis zum höchsten Gipfel, einen Widerspruch zwischen Wissen und Glauben gibt es da nicht. Was wir heute diesen Gegensatz nennen, das würde ein altindischer Weiser, ein chaldäischer Priester nicht verstanden haben; sie wußten noch nicht von einem Unterschied, und auch die Ägypter wußten noch keinen Unterschied zwischen dem, was man bloß glauben soll, und was ein Wissen sein soll. Dieser Unterschied machte sich erst geltend, als der Mensch tiefer hineinsank in die Materie, als immer tiefer die materielle Kultur von der Menschheit erobert wurde. Dazu aber war noch eine andere Einrichtung notwendig.

Denken wir uns einmal, daß dieser Abfall des Menschen nicht stattgefunden hätte-, was wäre dann geschehen? Wir haben einen ähnlichen Abfall schon gestern betrachtet, der aber anderer Natur war; dies ist ein erneuter Abfall auf anderem Gebiet, der etwa eintritt, als eine selbständige Wissenschaft neben der Erfassung des Geistigen auftritt. Das ist erst in der griechichen Welt der Fall, vorher gab es diesen Gegensatz zwischen Wissenschaft und Religion nicht; für den ägyptischen Priester hätte solche Trennung keinen Sinn gehabt. Versenken Sie sich in das, was Pythagoras von den Ägyptern gelernt hat: die Zahlenlehre. Sie war ihm nicht abstrakte Mathematik, sie war ihm das, was ihm die Musikgeheimnisse der Welt in der Harmonie der Zahlen gab; eine heilige, mit religiöser Grundstimmung verbundene Weisheit war ihm die Mathematik, die heute dem Menschen als etwas Abstraktes er-

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scheint. Aber der Mensch mußte immer mehr heruntersteigen mit der Wissenschaft in die materielle, physische Welt hinein, und wir sehen ja, wie selbst das, was die spirituelle Weisheit der Ägypter war, uns entgegentritt - wie in der Erinnerung umgestaltet - in der materialistischen Weltanschauungsmythe. Für die Zukunft werden all die Theorien der heutigen Menschen ebenso als etwas, was nur zeitlichen Wert hat, empfunden werden, wie heute die alten Theorien von der Menschheit empfunden werden. Hoffentlich sind dann die Menschen so gescheit, daß sie nicht in den Fehler verfallen wie die heutigen Menschen, die da sagen: Bis in das 19. Jahrhundert hat der Mensch unbedingt dumm sein müssen in der Wissenschaft, da erst ist er gescheit geworden; denn alles, was früher über den Menschenleib, über Anatomie gesagt wurde, ist ja Unsinn, und wahr ist nur, was das letzte Jahrhundert gebracht hat. Aber der Mensch in der Zukunft wird gescheiter sein, er wird nicht Gleiches mit Gleichem vergelten. Er wird auf unsere Mythen der Anatomie, der Philosophie, des Darwinismus nicht so wegwerfend herunterschauen, wie der heutige Mensch auf die alten Wahrheiten herunterschaut. Aber es ist doch so, daß auch das vergängliche Formen der Wahrheit sind, was man heute als so fest begründet ansieht: das Kopernikanische Weltensystem; es ist nur eine vorübergehende Form. Sie wird ersetzt werden durch etwas anderes. Die Formen der Wahrheit ändern sich fortwährend, das ist herbeigeführt worden durch das Untertauchen des Menschen in die Materialität. Dafür mußte aber, damit im Menschen nicht aller Zusammenhang verloren ginge, ein umso stärkerer geistiger Impuls kommen, ein Impuls nach der Spiritualität hin. Diesen starken Impuls haben wir gestern charakterisiert in dem Christusimpuls. Es mußte sozusagen die Menschheit „wissenschaftlich" eine Weile allein gelassen werden, und das Religiöse mußte in eine andere Strömung gebracht werden, gerettet werden vor dem fortschreitenden Einfall der Wissenschaft. So sehen wir, wie sich da abspaltet eine Weile die Wissenschaft, die auf das äußere Materielle geht, und das Spirituelle, das in einer besonderen Strömung fortgeht. Wir sehen, wie die zwei Strömungen, der Glaube für das Spirituelle und das Wissen für das äußere Materielle, neben-

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einander hergehen. ja, wir sehen sogar, daß in einer ganz bestimmten Periode der mittelalterlichen Entwicklung, in einer Periode, die der unseren eben vorangegangen ist, Wissen und Glauben sich bewußt gegeneinander stellen, aber noch eine Verbindung suchend.

Sehen Sie sich die Scholastiker an. Sie sagen: Es ist dem Menschen durch Christus ein Glaubensgut gegeben, das dürfen wir nicht antasten, das ist unmittelbar gegeben; alle Wissenschaft aber, die die Zeit hat hervorbringen können, seitdem jene Spaltung geschehen ist, kann nur dazu verwendet werden, um dieses Glaubensgut zu beweisen. - So sehen wir, wie in der Scholastik die Tendenz herrscht, alle Wissenschaft dazu anzuwenden, um die geoffenbarte Wahrheit zu beweisen. Da wo die Scholastik in ihrer Blüte steht, da sagt man: Man kann sozusagen von unten hinaufblicken in das Glaubensgut, und bis zu einem gewissen Grade kann menschliche Wissenschaft es durchdringen. Aber dann muß man sich dem Geoffenbarten hingeben. - Dann aber verliert sich im weiteren Verlauf der Zeiten die Verwandtschaft zwischen Glauben und Wissenschaft; man hat keine Hoffnung mehr, daß sie zusammengehen können; und das äußerste Extrem sehen wir in der Kantschen Philosophie, wo Wissenschaft und Glauben ganz und gar auseinandergetrieben werden, wo auf der einen Seite der kategorische Imperativ mit seinen praktischen Vernunftpostulaten hingestellt wird, und auf der andern Seite die rein theoretische Vernunft, die allen Zusammenhang verloren hat, die sich sogar eingesteht: es gibt keine Möglichkeit, von dem Wissen aus einen Zusammenhang mit den spirituellen Wahrheiten zu finden.

Aber es ist auch schon ein starker Impuls wieder da, der wiederum eine Erinnerung alter ägyptischer Gedankeneinflüsse darstellt. Wir sehen, wie sich wiederum Geister finden, die nun einen Zusammenfluß von Glauben und Wissen suchen, die in einer wissenschaftlichen Vertiefung wiederum das Göttliche zu erkennen suchen, und die da suchen, in dem Gott alles so klar und sicher zu erfassen, daß es wieder wissenschaftlicher Gedankenform zugänglich ist. Ein Typus eines solchen Denkens und Anschauens ist Goethe, bei dem tatsächlich Religion, Kunst und Wissenschaft in eines zusammenfließen, der ebenso

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dem griechischen Kunstwerke gegenüber Religion empfindet, wie er eine Summe von Pflanzenformen durchforscht, um den großen Gedanken der Gottheit wieder manifestiert zu finden im äußeren Ausdruck.

Da sehen wir, wie das Ägyptertum sich an seinem Ausgangspunkte widerspiegelt. Wir können die ganze moderne Kultur durchnehmen: sie erscheint uns als eine Erinnerung des alten Ägyptertums. Aber diese Spaltung in der modernen Kultur ist nicht ohne weiteres zustandegekommen, sie hat sich langsam vorbereitet, und wenn wir verstehen wollen, wie das geschehen ist, dann müssen wir noch einen kurzen Blick darauf werfen, wie sich in der atlantischen Zeit die nachatlantische veranlagt hat.

Wir haben gesehen, daß ein kleines Häuflein von Menschen in der Gegend des heutigen Irland am meisten vorgeschritten war, wie sie diejenigen Fähigkeiten gehabt haben, die nach und nach in aufeinanderfolgenden Kulturepochen heraustraten. Die Ich-Anlage hat sich ja, wie wir wissen, seit der lemurischen Zeit her entwickelt, aber jene Stufe der Ichheit, die in diesem kleinen Häuflein Menschen lebte, das sozusagen die Kulturströmung von Westen nach Osten geschickt hat, bestand in der Anlage zum logischen Erwägen, zur Urteilskraft. Vorher gab es so etwas nicht; wenn ein Gedanke da war, war er auch schon bewiesen. Ein urteilendes Denken war bei diesem Völkchen veranlagt, und sie brachten diese Keimanlage hinüber vom Westen nach dem Osten, und bei jenen Kolonisationszügen, von denen einer nach Süden hinunterging, nach Indien, da wurde die erste Anlage zur Gedankenbildung gemacht. Dann wurde der persischen Kultur der kombinierende Gedanke eingeflößt, und in der dritten, in der chaldäischen, wurde dieser kombinierende Gedanke noch intensiver; die Griechen aber brachten es so weit, daß sie das herrliche Denkmal der aristotelischen Philosophie hinterließen. So geht es immer weiter, das kombinierende Denken entwickelt sich immer mehr und mehr, es geht aber immer auf einen Mittelpunkt zurück, und es finden Nachschübe statt. Wir müssen uns das so vorstellen: Als die Kultur von jenem Punkte hinübergezogen ist nach einem Punkte in Asien, da wandte sich ein Zug nach

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Indien, der noch am schwächsten durchtränkt war vom reinen logischen Denken. Der zweite Zug, der nach Persien ging, war schon mehr durchdrungen davon, der ägyptische noch mehr, und innerhalb dieses Zuges hat sich das Volk des Alten Testaments abgesondert, welches gerade diejenige Anlage zur Kombination hatte, die entwickelt werden mußte, um wiederum einen Schritt vorwärts zu machen in dieser reinen logischen Erkenntnisform des Menschen. Nun ist aber auch das andere damit verknüpft, was wir betrachtet haben: das Heruntersteigen auf den physischen Plan. Je mehr wir heruntersteigen, desto mehr wird der Gedanke bloß logisch und auf die äußere Urteilskraft angewiesen. Denn logisches Denken, reine bloße menschliche Logik, die von Begriff zu Begriff geht, die braucht zu ihrem Instrument das Gehirn; das ausgebildete Gehirn vermittelt bloß das logische Denken. Daher kann dies äußerliche Denken, selbst da, wo es eine erstaunliche Höhe erreicht, niemals zum Beispiel die Reinkarnation durch sich selbst erfassen, weil dieses logische Denken zunächst nur anwendbar ist auf das Außerliche, Sinnliche um uns herum.

Die Logik ist zwar für alle Welten anwendbar, aber unmittelbar angewendet kann sie nur in bezu auf die physische Welt werden. Also an ihr Instrument, an das physische Gehirn ist die Logik unbedingt gebunden, wenn sie als menschliche Logik auftritt; nie hätte das rein begriffsmäßige Denken in die Welt kommen können ohne das Weiterheruntersteigen in die sinnliche Welt. Sie sehen, die Ausbildung des logischen Denkens ist verknüpft mit dem Verlust der alten hellseherischen Anschauung; wirklich hat der Mensch das logische Denken erkaufen müssen mit diesem Verlust. Er muß sich die hellseherische Anschauung wiederum hinzuerwerben zu dem logischen Denken. In späteren Zeiten wird der Mensch die Imagination dazu erhalten, aber das logische Denken wird ihm bleiben. Erst mußte das menschliche Gehirn erschaffen werden, heraustreten mußte der Mensch in die physische Welt. Der Kopf mußte erst ganz ausgestaltet werden, dem Ätherkopfe gleich, damit dieses Gehirn im Menschen sei. Da erst war es möglich, daß der Mensch in die physische Welt herabsteigen konnte.

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Zur Rettung des Spirituellen aber mußte der Zeitpunkt gewählt werden, wo noch nicht der letzte Impuls zum rein mechanischen, zum rein äußerlichen Denken gegeben war. Wenn der Christus einige Jahrhunderte später erschienen- wäre, dann wäre er sozusagen zu spät gekommen, dann wäre die Menschheit zu weit heruntergestiegen gewesen, sie hätte sich mit dem Denken zu weit verstrickt gehabt, sie hätte den Christus nicht mehr verstehen können. Vor dem letzten Impulse mußte der Christus erscheinen, da noch konnte die religiös spirituelle Strömung als eine Glaubensströmung gerettet werden. Und dann konnte der letzte Impuls gegeben werden, der das Denken des Menschen herunterstieß in den tiefsten Punkt, so daß die Gedanken ganz gefesselt, gebannt wurden an das physische Leben. Das wurde durch die Araber und Mohammedaner gegeben. Der Mohammedanismus ist nichts anderes als eine besondere Episode in diesem Arabertum, denn in seinem Herüberziehen nach Europa gibt er den letzten Einfluß in das rein logische Denken, das sich nicht erheben kann zu Höherem, Geistigem.

Der Mensch wird durch das, was man eine geistige Weltenführung, eine Vorsehung nennen kann, so geführt: Erst wird das spirituelle Leben gerettet im Christentum, dann zieht um den Süden herum der Arabismus nach Europa, das der Schauplatz für die äußere Kultur werden soll. Der Arabismus ist nur imstande, das Äußere zu erfassen. Sehen wir nicht, wie die Arabeske selbst sich nicht zum Lebendigen erheben kann, wie sie bei der Form stehen bleibt? Wir können es an der Moschee sehen, wie der Geist sozusagen herausgesogen ist. Die Menschheit mußte erst herabgeführt werden in die Materie. Und auf dem Umwege durch die Araber, durch die Invasion der Araber, durch das, was man nennen kann den Zusammenstoß des Arabismus mit dem Europäertum, das aber schon in sich das Christentum aufgenommen hat, sehen wir, wie die moderne Wissenschaft erst veranlagt wird.

So sehen wir, daß auf der einen Seite die alte ägyptische Erinnerung wieder auflebt. Was aber macht sie materialistisch? Was macht sie zu der Gedankenform des Toten? Wir können es handgreiflich zeigen. Wäre der Weg glatt fortgegangen, dann wäre in unserem Zeitraum

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die Erinnerung von dem Früheren aufgetreten. So aber sehen wir, wie sich das Spirituelle in den Glauben hineinrettet, und wie der eine Flügel der europäischen Entwicklung von dem Materialistischen ergriffen wird; wie dem Menschen, der sich an die alte ägyptische Zeit erinnert, diese Erinnerung auf dem Wege durch den Arabismus so umgestaltet wird, daß sie ihm in materialistischer Form erscheint. Daß Kopernikus das moderne Sonnensystem überhaupt erfaßt hat, war eine ägyptische Erinnerung. Daß er es in materialistischer Weise gedeutet hat, daß er es zu einem Mechanischen, zu einem toten Rotieren gemacht hat, kommt davon her, daß von der anderen Seite her der Arabismus diese Erinnerung ins Materialistische herunterzog.

So sehen wir, wie geheimnisvolle Kanäle gehen von dem dritten zum fünften Zeitalter. Das sehen wir selbst in dem Einweihungsprinzip. Denn als das moderne Leben ein Einweihungsprinzip erhalten sollte in dem Rosenkreuzertum, was war es? Wir haben gesehen in der modernen Wissenschaft die Ehe zwischen der ägyptischen Erinnerung und dem Arabismus, der auf das Tote gerichtet ist. Auf der andern Seite sehen wir eine andere Ehe sich vollziehen, eine Verbindung zwischen dem, was die ägyptischen Eingeweihten ihren Schülern eingepflanzt haben, und dem Spirituellen. Wir sehen eine Ehe zwischen der Weisheit und dem, was an Glaubenswahrheit gerettet worden ist. Jenen harmonischen Zusammenklang von ägyptischer Erinnerung in der Weisheit mit dem christlichen Kraftimpuls, wir sehen ihn in dem Rosenkreuzertum. So sehen wir den alten Samen, der in den ägyptischen Zeiten gelegt worden ist, wiederkehren; aber nicht als eine bloße Wiederholung, sondern differenziert, auf höherer Stufe angekommen.

Das sind allerdings Gedanken, die nicht nur Gedanken sein sollen, um uns über irgend etwas von Welt, Erde und Mensch zu unterrichten, sondern die zugleich in unsere Empfindung, selbst in unsere Willensimpulse hineingehen sollen, die uns beflügeln können; denn sie zeigen uns die Wege, die wir zu schreiten haben. Sie zeigen uns die Wege zum Spirituellen, sie zeigen uns aber auch, wie wir das, was wir im guten Sinne und guten Stile auf rein materiellem Felde ge-

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wonnen haben, in die Zukunft hineinführen können. Wir sehen, wie sich die Wege trennen und wieder zusammenfügen; und die Zeit wird wiederkommen, wo nicht nur die ägyptische Erinnerung sich mit den spirituellen Glaubenswahrheiten vereinigt, so daß wir eine rosenkreuzerische Wissenschaft haben werden, die zugleich Religion ist, und daneben eine sich ans Materielle heftende Wissenschaft, - sondern auch diese beiden werden sich vereinen, die Wissenschaft mit der Rosenkreuzerei. Auch das wird uns eine Mythe der dritten Kulturepoche in einer bildlichen Veranschaulichung zeigen können.

Wir suchen sie in der babylonischen Zeit: da werden wir hingewiesen auf den Gott Marduk, der dem bösen Prinzip, dem Materialistischen, der alttestamentlichen Schlange, entgegentritt und ihr den Kopf spaltet, so daß in einer gewissen Weise das, was früher Widersacher war, in zwei Teile geteilt wird. Wir sehen in der Tat, was damals geschehen ist, die Trennung dessen, was vorlag in den alten Urgewässern, symbolisiert durch die Schlange: wir sehen das Obere in den Glaubenswahrheiten, das Untere in der rein materiellen Weltauffassung. Vereinigt müssen beide werden, die Wissenschaft und das Spirituelle, und sie werden wieder vereinigt werden in der Zukunft. Und gerade dann wird es sein, wenn durch die rosenkreuzerische Weisheit der Spiritualismus vertieft, zur Wissenschaft geworden ist, wenn er selbst sich wiederum treffen wird mit dem, was auf wissenschaftlichem Boden erforscht ist. Und dann wird eine große harmonische Einheit wieder erstehen: die verschiedenen Kulturströmungen werden zusammenfließen durch die Kanäle der Menschheit. Sehen wir nicht, wie in der neuesten Zeit diese Vereinigung angestrebt wird?

Wenn wir zurückblicken könnten auf die alten ägyptischen Mysterien, dann würden wir sehen, wie Religion, Wissenschaft und Kunst eines sind. Da wird die Weltenevolution in dem Herabsteigen des Gottes in die Materie gezeigt in einem äußeren großen, gewaltigen dramatischen Symbolum. Und wer dies Symbolum genießt, hat Wissenschaft vor sich, denn er erfährt da in einer lebendigen Darstellung, wie sich das abgespielt hat, wie der Mensch sich hineingesenkt

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hat, wie er allmählich hinabgeflossen ist in die Welt. Aber er hat noch etwas anderes vor sich, er hat auch Kunst vor sich, denn er sieht in dem Bilde ein symbolisches Abbild dessen, was Wissenschaft ist. Aber beides, Wissenschaft und Kunst, stehen nicht nur vor ihm, sie werden für ihn zugleich zur Religion, denn das, was sich ihm bildlich zeigt, erfüllt sich mit religiösem Gefühl. Und dann, später, spaltet sich das, dann gehen Religion, Wissenschaft und Kunst getrennte Wege. Aber die Menschen fühlen schon in unserer Zeit wieder, daß sie wieder zusammenfließen müssen. Was war denn das bedeutungsvolle Streben Richard Wagners anderes als das, was wir als spirituelles Streben hingestellt haben, in einer großen, gewaltigen Ahnung zu einem Kulturimpulse gemacht? Bei den Ägyptern war es im anschaulichen Bilde, weil das äußere Auge es brauchte. In unserer Zeit wiederholt es sich: es soll wieder aus den einzelnen Kulturströmungen ein Ganzes zusammengebaut werden, aber in einem Kunstwerke, dessen Element vorzugsweise das Fließen des Tones ist. Überall können wir den Zusammenhang zwischen Ägyptertum und moderner Zeit finden, überall diese Spiegelung beobachten.

Dann aber wird es uns um so mehr vor die Seele treten, wie jede Zeit nicht nur Wiederholung ist, sondern wie ein Aufsteigen, eine fortwährende Entwicklung der Menschheit stattfindet. Und dann muß auch das tiefste Bestreben der Menschheit, die Initiations-Bestrebung, eine Fortentwicklung finden. Was im ersten Zeitraum das Einweihungsprinzip war, kann nicht das Einweihungsprinzip sein für die veränderte Menschheit von heute. Da gilt es nicht, daß wir darauf hingewiesen werden, daß die Ägypter schon in Urzeiten die urewige Wahrheit und Weisheit gefunden haben, daß wir schon in den alten orientalischen Religionsbekenntnissen und Philosophien die Urweisheit finden können, und daß alle anderen später im Grunde genommen nur dazu da waren, um immer wieder dasselbe zu durchleben, wenn es zur höchsten Initiation kommen soll. Nein! Davon kann niemals die Rede sein. Eine jede Zeit braucht bis in die Tiefen der menschlichen Seele hinein ihre ganz besondere Kraft.

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Wenn von einigen Seiten behauptet wird - was ja wirklich geschieht -, es wären unter den Theosophen einige, die da sagen: es gibt eine westliche Einweihung für unsere Kulturstufe, aber das sei ein Spätprodukt, die wahre Initiation könne nur im Osten geholt werden, - so muß geantwortet werden, daß nicht ohne weiteres darüber geurteilt werden darf. Man muß da tiefer in die Dinge eindringen, als man es gewöhnlich tut. Es mag Leute geben, die da sagen, Buddha ist in die höchsten Regionen hinaufgestiegen, und Christus hat gegenüber Buddha nichts Neues gebracht; aber nur in dem, was uns positiv entgegentritt, kann erkannt werden, um was es sich handelt. Fragen wir diejenigen, die auf dem Boden der westlichen Initiation stehen, ob sie irgend etwas negieren, verneinen von der östlichen Einweihung, ob sie über den Buddha anders reden als diejenigen, die im Östlichen stehen? Nein, alles das gilt ihnen, sie sagen zu alledem Ja. Aber sie verstehen die Fortentwicklung und unterscheiden sich von denen, die zum westlichen Initiationsprinzip Nein sagen, dadurch, daß sie es verstehen, zu dem Ja zu sagen, was im Orientalismus gegeben wird, - außerdem aber die fortgeschrittenen Formen wissen, die notwendig geworden sind im Laufe der Zeiten. Sie sagen Ja, und zu nichts auf dem Gebiete der östlichen Initiation sagen sie Nein. Nehmen Sie eine Charakteristik des Buddha von dem, der auf dem Standpunkte der westlichen Esoterik steht. Sie wird sich in nichts unterscheiden von dem, was derjenige sagt, der auf dem Boden der östlichen Esoterik steht. Aber er weiß - dieser, der auf dem Standpunkte des Westlichen steht - er weiß zu zeigen, wie in dem Christus noch etwas anderes liegt, was darüber hinausgeht. Das tut der, der auf dem östlichen Standpunkte steht, nicht. Nicht dadurch entscheidet sich etwas, daß man behauptet, Buddha sei größer als Christus, sondern auf das, was man Positives sagt, darauf kommt es an. Und da spricht der, der auf dem westlichen Standpunkte steht, über Buddha ganz dasselbe wie der östliche. Nicht „nein" sagt der westliche zu dem, was der östliche sagt, sondern „ja", aber er sagt „ja" noch zu etwas anderem auch.

Man kann nicht so denken, daß man meint: O, diese Orientalisten verstehen sehr schlecht das Leben des Buddha, wenn sie glauben, es

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wörtlich nehmen zu müssen, daß der Buddha am Genuß von zu vielem Schweinefleisch zugrunde gegangen ist. Mit Recht wendet man dagegen vom Standpunkt des christlichen Esoterikers ein, daß diejenigen nichts davon verstehen, die irgend etwas Triviales darunter verstehen: das ist nur ein Bild dafür, wie Buddha stand zu seiner Zeitgenossenschaft. Er hatte zu viel von dem, was die heiligen brahmanischen Geheimnisse sind, mitgeteilt der Außenwelt. An einem Zuviel des Okkultismus, den er der Welt gegeben hat, ginger zugrunde. Er ging zugrunde, wie jeder, der Verborgenes mitteilt, zugrunde geht. Das ist in jenem sonderbaren Bilde gesagt. Man mag das mit aller Schärfe betonen, daß man in dem Orientalismus keinen Widerspruch findet, sondern daß man nur den Esoterismus solcher Sachen verstehen lernen muß. Wenn man aber sagen wollte, man dürfe es nur als etwas Minderwertiges ansehen - denn noch niemals hätte sich zum Beispiel jemand etwas dabei denken können, wenn uns verkündet wird, daß die Apokalypse von dem Schreiber derselben unter Blitz und Donner empfangen wurde, - und wenn man durchaus daraus Veranlassung nehmen wollte, über die Apokalypse zu spotten, dann würde man darauf erwidern können: Schade, daß der, der so etwas sagt, nicht weiß, was es heißt, daß die Apokalypse unter Blitz und Donner der Erde mitgeteilt wurde.

Da müssen wir festhalten, daß keine Negation über die Lippen des westlichen Esoterikers kommt, und daß vieles von dem, was rätselhaft dasteht im Beginne der anthroposophischen Bewegung, durch westliche Esoterik seine Erklärung findet. Wer auf dem Boden des westlichen Esoterismus steht, weiß, daß er niemals in den geringsten Zwiespalt kommt mit dem, was an großen gewaltigen Wahrheiten der Welt durch H. P. Blavatski mit mitgeteilt wurde. Wenn wir zum Beispiel uns daran erinnern, daß wir zu unterscheiden haben bei Buddha: den Dhyani-Buddha, den Adi-Buddha und den menschlichen Buddha, dann erfährt das erst seine volle Erklärung durch den westlichen Esoteriker. Denn wir wissen allerdings, daß dasjenige, was als der Dhyani-Buddha angesehen wird, nichts anderes ist als der Götter-erfaßte Ätherleib des historischen, realen Buddha: daß der Ätherleib von dem erfaßt war,

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was wir gestern als die Individualität des Wotan bezeichnet haben. Es steht das allerdings schon darinnen, nur muß es durch eine westliche Esoterik erst in der richtigen Weise erfaßt werden. Die anthroposophische Bewegung wird insbesondere darauf achten müssen, daß, was uns aus einer solchen Betrachtung als ein Empfindungsimpuls vor die Seele getreten ist, uns anregen soll, uns entwickeln zu wollen; so, daß wir keinen Moment stillstehen dürfen. Wertvoll wird die geisteswissenschaftliche Bewegung nicht dadurch, daß man alte Dogmen erhält - wenn sie auch erst 15 Jahre alt sind - sondern, daß man den richtigen Sinn einer solchen Bewegung erfaßt, der in nichts anderem bestehen kann als in der Erschließung immer neuer Keime, immer neuer spiritueller Quellen. Dann wird sie eine lebendige Strömung werden in der Menschheit, und dann wird sie jene Zukunft herbeiführen, die uns, wenn auch nur in skizzenhafter Andeutung, heute aus demjenigen vor die Seele getreten ist, was wir aus der Vergangenheit betrachten konnten. Das ist das beste, was wir mitnehmen können als einen solchen Empfindungsimpuls.

Nicht darum handelt es sich, theoretische Wahrheiten mitzuteilen, sondern daß unser Gefühl, unsere Empfindung kräftig und stark wird zum Wirken. Wir haben die Entwicklung von Welt, Erde, Mensch betrachtet; wir wollen das, was wir ihr haben entnehmen können, so auffassen, daß wir selbst jederzeit bereit sein wollen, in die Entwicklung einzutreten. Das, was wir Zukunft nennen, muß allerdings wurzeln in der Vergangenheit. Das Wollen der Zukunft muß der Erkenntnis der Vergangenheit entsprechen; aber diese Erkenntnis hat keinen Wert, wenn sie sich nicht umwandelt in Triebkräfte für die Zukunft. Was wir gesehen haben, hat uns ein Bild gegeben solcher bedeutungsvoller Triebkräfte, daß nicht nur unser Wollen, unser Enthusiasmus, sondern daß auch unsere Lebensfreude und Sicherheit angeregt wird. Wenn wir ein solches Zusammenfließen der verschiedenen Strömungen sehen, dann sagen wir: Viele Samen sind im Zeitenschoße, sie alle sollen reifen. Der Mensch aber soll durch seine immer mehr sich vertiefende Erkenntnis die Möglichkeit erwerben, ein immer

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besserer Pfleger aller dieser Keime zu werden, die in dem Zeitenschoße liegen. Erkenntnis um des Wirkens, um der Lebenssicherheit willen, das ist es, was als ein Gefühlsimpuls alle geisteswissenschaftliche Betrachtung durchdringen muß. Nur darauf noch will ich am Schluß hinweisen, daß alle sogenannten geisteswissenschaftlichen Theorien dann erst die letzte Wahrheit erreichen, wenn sie umgewandelt werden in Leben, in Gefühlsimpulse und Lebenssicherheit, so daß wir nicht nur theoretisch betrachten, sondern wirklich eintreten in die Entwicklung.

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Wuppertal, 10. Januar 2002
Dieter Rüggeberg

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