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"Sekte" als Kampfbegriff

Das Bundesministerium für Frauen und Jugend bereitet eine Broschüre vor, die vor "Sekten und Psychogruppen " warnt. Das ist nach ständiger Rechtsprechung unbedenklich, wenn die Vereinigung verfassungsrechtlich geschützte Rechte anderer oder der Gemeinschaft gefährdet (etwa Osho, Krishna, Moon, Scientology). Darüber zu informieren gehört zu den legitimen Aufgaben der Regierung. Diese will jedoch neuerdings den Rechtsrahmen sprengen und auch vor Vereinigungen warnen, die folgende Kennzeichen aufweisen 1. Heilsbotschaft. 2. charismatische Führerpersönlichkeit. 3. theoretischer Dogmatismus. Dann handele es sich um eine "Sekte".

Dieser im pluralistischen Staat an sich wertneutrale Begriff wird zu einem verächtlich machenden Kampfbegriff umgeprägt. Sekten seien, heißt es "fundamentalistisch" Dieser Begriff prägt ihnen das Stigma intellektueller Primitivität und politischer Intoleranz auf. Er hat seine ursprüngliche, aus dem amerikanischen Protestantismus stammende Bedeutung erheblich ausgeweitet und stellt die Sekten auf eine Stufe mit rabiaten Grünen, ja mit islamischen Theokratien und Mordbanden. Das Bundesministerium geht noch weiter und warnt vor Lehren, die "wissenschaftlich" unzutreffend seien, als hätte der Staat, wie einst die DDR, die Befugnis, darüber verbindlich zu urteilen.

Das Verwaltungsgericht hat die Anwendung dieser Kriterien untersagt. Das Bundesministerium will mit dem Kopf durch die Wand und hat Berufung eingelegt. Sie ist zwar sicherlich ohne Aussicht auf Erfolg. Doch macht der Vorgang eine neue Tendenz zu staatlicher Weltanschauungskontrolle deutlich. Die aufgeklärte Weltanschauung, historisch mit dem Kampf um Freiheit verbunden, beansprucht jetzt, da sie mehrheitlich akzeptiert ist, den Alleinherrschaftsanspruch.

"Sekten" und "Fundamentalisten" sollen zwar nicht verboten, aber regierungsamtlich geächtet werden - mit der Folge, daß ihren Vereinigungen zum Beispiel die Gemeinnützigkeit, die Matrikel an den Hochschulen, die Fähigkeit als Körperschaften des öffentlichen Rechts abgesprochen und ihren Mitgliedern der Zugang zum öffentlichen Dienst blockiert werden kann. Man erstrebt ein gerichtliches Präjudiz, das die Anwendung der genannten Kriterien erlaubt.

Gelänge das, so dürften auch freikirchliche Gemeinden und evangelikale, pietistische, charismatische Gruppen staatlich diskriminiert werden, auf katholischer Seite zunächst das Opus Dei, alsdann Una Voce, Priesterbruderschaft St. Petrus, Fokolarini, Schönstatt-Bewegung, katholische Pfadfinderschaft und viele andere.

Nach unserer Verfassungsordnung ist die geistige Auseinandersetzung Sache der freien gesellschaftlichen Gruppen, nicht des Staates. Das Bundesministerium beruft sich auf angebliche Wünsche "der Kirchen". Diesen steht die weltanschauliche Auseinandersetzung zu. Sie sollten jedoch dem Eindruck entgegenwirken, sie nutzten die erste beste Gelegenheit, zur Weltanschauungskontrolle mit Hilfe des Staates zurückzukehren.

Zwischen Gesellschaft und Staat vermitteln die Parteiorganisationen. Einige beteiligen sich an der Verächtlichmachung der Sekten. Zum Beispiel stellt die Junge Union Menschen in Sekten als Insekten dar, die mit der Fliegenklatsche erschlagen werden. Sie sollte deutlich machen, daß sie das als gesellschaftliche Gruppe tut und daß sie nicht die staatliche Weltanschauungskontrolle unterstützen will. Es ist an der Zeit, ein Prinzip in Erinnerung zu rufen, das Voltaire so ausgedrückt hat: "Ihre Meinung ist der meinen genau entgegengesetzt, aber ich setze mein Leben daran, daß Sie sie äußern dürfen."

Der Verfasser ist Professor der Staatslehre und des Öffentlichen Rechts an der Universität zu Köln. FA, 6.4.94