Reinkarnation - Himmel und Hölle Dialog Religion Magie als Wissenschaft
Quelle: D. Rüggeberg: Christentum und Atheismus im Vergleich zu Okkultismus und Magie.

Reinkarnation des Geistes — oder Himmel und Hölle?

Die modernen okkulten und magischen Lehren sind sich einig darin, daß sich die menschliche Entwicklung vollzieht im Zusammenhang mit der laufenden Wiederverkörperung oder Reinkarnation des Geistes in einem physischen Körper. Die präzisesten Darstellungen habe ich in den Werken von Bardon und Steiner gefunden. Mit den Ausführungen von Steiner stimme ich grundsätzlich überein. Was dazu kritisch anzumerken war, habe ich in meinem Buch „Theosophie und Anthroposophie im Licht der Hermetik“ niedergelegt. Natürlich war die Lehre von der Wiederverkörperung auch in der Esoterik der Kabbalah enthalten, wozu es bei G. Scholem heißt:

          „In dem ältesten kabbalistischen Text, dem Buch Bahir, das gegen 1180 in Südfrankreich redigiert worden ist, wird von dieser Lehre als von etwas ganz Selbstverständlichem gesprochen, und es fehlt jede besondere apologetische Note bei ihrer Erklärung. Das ist um so merkwürdiger, als in dieser Zeit die offizielle jüdische Theologie, wie sie von den arabisch-jüdischen Religionsphilosophen entwickelt und vertreten wurde, dieser Lehre mit betonter Ablehnung gegenüberstand. Es gilt hier dasselbe wie für die analogen Verhältnisse im Christentum und im Islam. — Aus dem hier Dargelegten folgt, daß für das Buch Bahir die Seelenwanderung ein Gesetz von breitester Gültigkeit, mindestens soweit es sich um die Gemeinde Israel handelt, darstellt. — Es ist ein Akt des göttlichen Erbarmens, daß er der Seele, die eigentlich in der Hölle ganz vernichtet werden müßte, eine Chance gibt, sich auf erneuter, wenn auch ihrer Natur nach leidvoller Wanderung reinzuwaschen. — Denn wenn in ihm (dem Menschen) auch nur ein Glied mangelhaft ist, auf dem Gott nicht wohnt, so wird er dieses Gliedes wegen im Gilgul (Wiederverkörperung) in die Welt zurückgebracht, bis er in seinen Gliedern vollkommen wird, so daß sie alle in der Urgestalt Gottes vollendet werden. Denn wenn auch nur eines zu solcher Gestalt fehlt, so ist er nicht mehr im Ebenbilde Gottes (76).“

          Wichtig ist die Tatsache, daß sich der Reinkarnationsglaube innerhalb des Judentums nicht nur auf enge Mystikerkreise beschränkte, sondern weit darüber hinaus wirkte, wie Scholem ausführte: „Es ist nun sehr interessant und aufschlußreich, daß diese kabbalistische Lehre von der Seelenwanderung, die ursprünglich, wie gesagt, nur in sehr kleinen Kreisen gepflegt wurde, sich von etwa 1550 an mit unglaublicher Schnelligkeit in weitesten Kreisen durchsetzte. — Binnen kurzem entwickelte sich diese Lehre zu einem integrierenden Bestandteil des jüdischen Volksglaubens und der jüdischen Folklore (77).“

          Bereits dieser kurze Abschnitt macht deutlich, daß die Lehre von der Reinkarnation in der Esoterik des Christentums seit Jahrhunderten vorhanden war. Der Grund für die Unterdrückung dieser Lehre durch die offizielle Theologie liegt klar zutage, wenn man weiß, daß die Offenlegung dieser Lehre zwangsläufig zu Nachforschungen über den geistigen Hintergrund der menschlichen Entwicklung führt, was eben mit aller Macht verhindert werden sollte. Wie Scholem gezeigt hat, liegt der Zweck der Reinkarnation in der Vervollkommnung des Menschen, wovon eben die Kirchen überhaupt nichts wissen wollen. Mit der Lehre von der Reinkarnation unlösbar verbunden ist die Lehre von dem Schicksalsgesetz von Ursache und Wirkung, welches in der okkulten Literatur das Gesetz des Karma genannt wird. Der Begriff Karma (Sanskrit = Tat) ist aus der indischen Esoterik zu uns gekommen, und Franz Bardon schreibt dazu u. a.:

          „Ein unwandelbares Gesetz, das seinen Aspekt gerade im Akasha-Prinzip hat, ist das Gesetz von Ursache und Wirkung. Jede Ursache löst eine entsprechende Wirkung aus. Dieses Gesetz gilt überall als das erhabenste. — Dem Gesetz von Ursache und Wirkung unterliegt auch das Gesetz der Evolution oder Entwicklung. Die Entwicklung ist deshalb ein Aspekt des Karma-Gesetzes (78).“

          Im Laufe der letzten Jahrzehnte ist die Idee von Reinkarnation und Karma zunehmend in unseren Kulturraum eingedrungen, und auch die christlichen Kreise sehen sich mehr und mehr zu einer Stellungnahme gezwungen. Das gerade erschienene Buch „Reinkarnation“ von Reinhart Hummel werde ich in dieses Kapitel einbeziehen und bewerten. Das Buch gibt einen kurzen Überblick über die Reinkarnationslehren in Hinduismus, Buddhismus, Spiritismus und Anthroposophie, eignet sich somit besonders gut zu einer Stellungnahme aus okkulter Sicht. Es soll hier als ein positives und erfreuliches Zeichen vermerkt werden, daß Vertreter der evangelischen und katholischen Kirche den Mut zum Dialog aufbringen. Ob die Unterschiede und Gemeinsamkeiten vom Autor scharf genug herausgearbeitet wurden, und die Dialogbereitschaft modernen Erfordernissen entspricht, das wird sich zeigen.

          Zu der folgenden Behauptung möchte ich gleich ein paar grundsätzliche Bemerkungen machen: „Jedes religiöse Weltbild produziert auch die ihm entsprechenden Erfahrungen. Das Wunder ist auch des Reinkarnationsglaubens liebstes Kind (79).“

          Aus okkulter Sicht sind die religiösen Lehren aus den mystischen Erfahrungen von Menschen entstanden und nicht umgekehrt. Wenn nämlich den Lehren von Moses, Christus und den Propheten keine reale Erfahrung zugrunde liegen würde, dann könnte man sie als phantastische Hirngespinste gleich auf den Müllhaufen werfen. Da die Fähigkeiten von Moses und Christus denen der indischen Yogis durchaus nicht nachstanden, gilt der folgende Satz auch für sie: „Das Durchschauen karmischer Zusammenhänge bei sich und anderen gehörte im Hinduismus und Buddhismus zu den anerkannten yogischen Fähigkeiten.“ Dagegen sind die folgenden Sätze entweder der Ignoranz oder der Volksverdummung zuzurechnen: „Auch für Jesus gilt, daß Paranormales, das von ihm erzählt wird, Hinweis- und Zeichencharakter für seine Sendung, seine Botschaft und die Wirklichkeit Gottes hat. Wir sprechen dann besser von einem ,Wunder', statt von einem ,paranormalen Phänomen'. Ein ,Wunder' im eigentlichen Sinne entzieht sich der parapsychologischen Forschung und erschließt sich nur dem wagenden und vertrauenden Glauben. — Das Tor zur jenseitigen Welt selbst aber bleibt menschlicher Neugier und wissenschaftlichem Zugriff verschlossen (80).“

          Mit solchen Bemerkungen werden die christlichen Propheten und Christus zu Phantasten und Lügnern gestempelt. Nach den Lehren der Magie gibt es überhaupt keine Wunder, denn all jene Phänomene, die der naive Mensch als Wunder bestaunt, beruhen lediglich auf der wissenschaftlichen Anwendung geistiger Kräfte und Methoden, über die selbstverständlich auch Moses und Christus verfügten.

          Die von mir benutzte Bibel ist voll von Aussagen über die jenseitige Welt, deshalb ist mir einigermaßen schleierhaft, wie man von christlicher Seite zu solchen Urteilen kommen kann. Auch der folgende Irrtum ist leicht zu korrigieren: „lm Neuen Testament wird Johannes der Täufer als wiedergekehrter Elia bezeichnet, und auch an Jesus wird die Frage herangetragen, ob er Elia sei. In der Reinkarnationsliteratur wird diese Wiederkehr gern im Sinne der Wiederverkörperung gedeutet. Das scheitert aber daran, daß in der Bibel Elia nicht als gestorben, sondern als in den Himmel entrückt gilt und sich deshalb überhaupt nicht reinkarnieren könnte (81).“

          Im vorigen Kapitel wurde bereits darauf hingewiesen, daß die Begriffe Himmel und Hölle nur symbolisch auf die geistigen Sphären hinweisen. Demnach bedeutet „in den Himmel entrückt“ nicht, daß einer nicht gestorben ist, sondern nur, daß er nach dem Tode in eine lichte Sphäre der geistigen Welt aufgenommen wurde. Ein Hindernis für eine Reinkarnation liegt also keineswegs vor.

          Dem folgenden Urteil muß ebenfalls von Seiten des Reinkarnationsglaubens widersprochen werden: „Die einzige Stelle, in der man eine Auseinandersetzung mit dieser Lehre vermuten kann, ist die Geschichte vom Blindgeborenen in Johannes 9. Wenn die Unterstellung der Jünger, die Blindheit des Mannes sei eine Folge seiner Sünden oder der seiner Eltern, tatsächlich im Sinne von Karma und — im Fall seiner Eltern — Reinkarnation gemeint sein sollte, so kann die Antwort Jesu ,Weder er noch seine Eltern haben gesündigt'... nur als Ablehnung dieser Lehre gedeutet werden (82).“

          Auch dieser Einwand ist für den Geisteswissenschaftler kein Problem, denn er zeugt von einer irrtümlichen Auffassung der Karma-Lehre. Das Karma oder Schicksal eines Menschen besteht nämlich nicht nur aus den Wirkungen vergangener Verkörperungen, sondern auch aus den Taten der Gegenwart, die wiederum Ursachen für zukünftige Wirkungen bilden. Normalerweise kommt ein Mensch auch außerhalb seiner Familie mit vielen anderen in Verbindung, z. B. Freunde, Kollegen, Ärzte, Pfarrer, Gemüsehändler usw. Diese Verbindungen können aus der Vergangenheit herrühren, aber sie müssen es nicht!

          Das genannte Beispiel möchte ich in Analogie setzen zu der bekannten Contergan-Katastrophe, bei der durch ein schlechtes Medikament viele verkrüppelte Kinder geboren wurden. Wenn ein Kind blind oder verkrüppelt geboren wird, dann muß darin keineswegs eine Sünde oder ein Verschulden des Betroffenen oder seiner Eltern vorliegen, sondern die Schuld kann auch bei einem Dritten liegen, nämlich dem Arzt der die schlechte Medizin verordnet hat, die dann ursächlich zur Verkrüppelung des Kindes führte. Die Tat des Arztes wird hier zur Ursache für eine karmische Beziehung, die ihre Wirkungen in die Zukunft erstrecken wird. Ob es sich im Einzelfall um die Wirkung von Taten aus der Vergangenheit handelt, oder um neue Ursachen für die Zukunft, kann nur durch die okkulte Forschung herausgefunden werden. Diese Tatsache macht deutlich, daß man in solchen Fällen von Schuldzuweisungen völlig Abstand nehmen muß. Die einzige Richtschnur muß die Hilfe für die Betroffenen sein, denn niemand weiß im voraus, ob er dem anderen nicht noch Hilfe schuldig ist aus seinen früheren Verkörperungen.

          In Verbindung mit der Befreiung des Ich und Karma-Tilgung möchte ich noch zu einem besonders groben Irrtum in den östlichen Lehren Stellung nehmen: „Solange ein Individuum Karma produziert, gutes oder schlechtes, ist es genötigt, in dieser vergänglichen und darum leidvollen Erscheinungswelt zu leben (83).“

          Aus okkulter Sicht ist der Stand des Karma zu vergleichen mit einer Buchhaltung oder einem Bankkonto, das jederzeit einen bestimmten Stand zeigt, aber für alle möglichen Veränderungen offen ist. Der Unterschied zwischen einem Guthaben und Schulden besteht darin, daß der Kontoinhaber über ein Guthaben frei verfügen kann, während im Falle von Schulden durch den Gläubiger über ihn verfügt wird. Es ist somit Unsinn zu behaupten, daß auch gutes Karma zwangsweise zu einer Reinkarnation führt, denn unfrei ist der Mensch nur durch negatives Karma, bzw. durch Schulden oder Kredite irgendwelcher Art, worauf schon der Christus hingewiesen hat: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Jeder, der die Sünde tut, ist der Sünde Sklave (Joh 8,34).“

          Bei Rudolf Steiner und auch bei Franz Bardon wird, wie im Kapitel über „Gott und Mensch“ gezeigt, dem menschlichen Ich die größte Wichtigkeit beigemessen, deshalb kann der folgende Abschnitt nicht unwidersprochen bleiben: „Vom Atma ist bei Steiner kaum die Rede. Er fühlt sich der westlichen Hochschätzung der Individualität verpflichtet und hat darum, dem Buddhismus diametral entgegengesetzt, das Ich in das traditionell esoterische Menschenbild mit seinem System von Leibhüllen eingefügt, man möchte fast sagen: hineingemogelt (84).“

          Reinkarnation und Karma können vor der Vernunft nur dann bestehen, wenn angenommen wird, daß dasselbe Individuum von einer Verkörperung zur nächsten schreitet, und Ursachen und Wirkungen mit diesem Individuum verbunden bleiben. Steiner hat in seinen Schriften ausreichend erklärt, daß er das Ich als den unsterblichen Kern des menschlichen Geistes betrachtet, deshalb kann von einem Hineinmogeln nicht die Rede sein. Ob man den ewigen Kern der menschlichen Individualität nun Ich oder Atma nennt, das macht für das Objekt keinen Unterschied, wenn es nur ausreichend definiert wird.

          Auch die folgenden Sätze kann ich mit Hilfe der Bibel ergänzen: „Aufschlußreich ist Steiners Vorstellung, daß Begierden und Leidenschaften nicht aus dem Körper kommen, sondern sich seiner nur bedienen, also einer verkehrten geistigen Einstellung entspringen (85).“

          Warum diese Vorstellung aufschlußreich für die Autoren ist, wird nicht verraten, aber vielleicht haben sie nur vergessen, auf die völlige Übereinstimmung mit dieser Aussage des Christus hinzuweisen: „Und er spricht zu ihnen: Seid ihr so unverständig? Begreift ihr nicht, daß alles, was von außen in den Menschen eingeht, ihn nicht verunreinigen kann? Denn von innen aus dem Herzen der Menschen kommen die bösen Gedanken hervor: Unzucht, Dieberei, Mord, Ehebruch, Habsucht, Bosheit, Arglist, Ausschweifung, Neid, Lästerung, Hochmut, Torheit; alle diese bösen Dinge kommen von innen heraus und verunreinigen den Menschen (Mk 7,18).“ Das Denken ist eine Eigenschaft des menschlichen Geistes, deshalb stehen diese Worte in bester Harmonie mit den Aussagen Steiners.

          Es ist bedauerlich, daß sich der Autor zu Unwahrheiten hinreißen läßt, wie diese Sätze zeigen: „Die Lehre R. Steiners zielt letztlich auf eine Selbsterschaffung des Menschen. In allen diesen Traditionen wird der Mensch mehr oder weniger als ,alleiniger Schöpfer seiner Lebensumstände' definiert, wie es in den ,Zwölf Grundsätzen des Buddhismus' heißt. Die Karma-Lehre steht in einem deutlichen Konkurrenzverhältnis zum Schöpfungsglauben, wie er im Christentum verstanden wird — übrigens auch im Judentum und Islam. Je geringer die Rolle des Schöpfungsglaubens, desto mehr Raum für die Entfaltung einer Lehre von Karma und Reinkarnation (86).“

          Selbstverständlich kann sich jeder leicht überzeugen, daß Steiner niemals die „Selbsterschaffung“ des Menschen gelehrt hat, und zwar in seinem Werk „Die Geheimwissenschaft im Umriß“ im Kapitel „Die Weltentwicklung und der Mensch“. Er lehrte die Schaffung des Menschen durch die Elohim, genau wie die Bibel. In dem Werk „Die Geheimnisse der biblischen Schöpfungsgeschichte“ heißt es wörtlich: „Der Mensch ist etwas Gewaltiges in der Welt, weil sieben Tätigkeiten zu einer Gruppe zusammenfließen mußten, um ihn zustande zu bringen. Ein Ziel für Götter ist die Menschenform auf der Erde (87).“ Richtig ist allerdings, daß der Mensch im Laufe seiner Verkörperungen zum „Schöpfer seiner Lebensumstande“ wird, was eben mit dem Gesetz des Karma, der göttlichen Gerechtigkeit, zu tun hat. Diese Tatsache hat aber mit der Urschöpfung des Menschen nichts gemeinsam, denn selbst jeder halbgebildete Okkultist weiß, daß gerade in den Gesetzen von Karma und Reinkarnation sich die göttliche Gnade und Güte auswirkt zu seinem eigenen Heil. Von einem Gegensatz zwischen Schöpfungsglauben und Reinkarnation kann also nicht gesprochen werden aus okkulter Sicht.

          Der Okkultist weiß sogar, welche Engel oder Intelligenzen unseres kosmischen Systems für das Karma zuständig sind, denn bei Bardon heißt es dazu: „Die Saturnsphäre ist nämlich die sogenannte Karmasphäre. Die Intelligenzen dieser Sphäre können von der verstandesmäßigen Auffassung, vom intellektuellen Standpunkt eines Menschen aus, als Richter aller Wesen, aller Planeten und Sphären betrachtet werden. — Über die 49 Intelligenzen der Saturnsphäre wäre zu sagen, daß diese der Reihe nach das karmische Urprinzip aller Sphären zu überwachen haben, namentlich aber das Wirken und Walten aller negativen Wesen sämtlicher Sphären, von unserer grobstofflichen Welt angefangen, verfolgen. — Deshalb gelten die Saturn-Intelligenzen als die sogenannten Richter und Schicksalsvollstrecker höchster Art (88).“

          Das folgende Urteil scheint mir recht kurzsichtig ausgefallen zu sein: „Das alles (Eigenverantwortung in Verbindung mit Reinkarnation und Karma, d. V.) entspricht zwar gewissen Bedürfnissen der Gegenwart, verführt den Menschen aber zur Überschätzung seiner eigenen Rolle und macht, in der theologischen Konsequenz, Gott arbeitslos (89).“ Der Autor hat offensichtlich völlig vergessen, daß auf seinem Kopf kein einziges Haar wachsen würde, wenn die Wesen der Hierarchie in einen Streik treten würden. Außerdem bin ich davon überzeugt, daß Gott noch jahrtausendelang viele Hände voll zu tun haben wird, um irrende und sündige Christen wieder auf den Pfad der Tugend zurückzuführen, damit sie nicht dauerhaft auf dem „Weg des Verderbens“ wandern, auf dem sich viele bereits seit Jahrhunderten befinden.

          Ferner wird argumentiert: „Auch die neutestamentliche Stelle, auf die sich Reinkarnationsanhänger gern berufen: ,Was der Mensch sät, wird er ernten' (Gal 6,7), versteht unter der ,Ernte' das göttliche Endgericht, nicht eine Abfolge weiterer Leben (90).“ Diese Auslegung beruht lediglich auf einer irrigen dogmatischen Auslegung der Bibel durch die Kirche. In Wirklichkeit harmoniert das obige Zitat viel besser mit der Idee des Karma, als mit dem „Endgericht“, auf das ich noch zu sprechen komme.

          Auch die folgende Behauptung ist leicht zu entkräften: „Der Holocaust ist auch für den Karma- und Reinkarnationsglauben ein kaum zu bewältigendes Problem. — An der Holocaustthematik wird deutlich, daß dieser Glaube mit fiktiven Schuldzuweisungen arbeitet, die das moralische Empfinden gerade nicht befriedigen können, sondern empören müssen (91).“

          Zuerst möchte ich einmal feststellen, daß es in der gesamten Reinkarnations- und Karmalehre keinen einzigen Gedanken gibt, den ich so empörend finde, wie denjenigen christlichen, daß ein Mensch die Möglichkeit hat, nach einem einzigen Leben auf ewig! in der Hölle zu landen, falls er genug Blut auf sein Haupt geladen hat, was ja vielleicht bei allen am Holocaust beteiligten Christen der Fall wäre. Wie ich schon oben beim Beispiel des Blindgeborenen erklärt habe, kann bei einem richtigen Verständnis der Karmagesetze keine Rede davon sein, daß alle Unglücke, Unfälle oder Krankheiten auf Ursachen aus der Vergangenheit zurückzuführen sind. Eine wahre Karmalehre kann nie mit fiktiven Schuldzuweisungen arbeiten. Der Mensch erlebt doch nicht nur Wirkungen in passiver Weise, sondern er ist auch im gleichen Maße Handelnder, wodurch laufend neue Ursachen gelegt werden, die dann das weitere Schicksal der Zukunft bilden.

          Dem folgenden Zitat trete ich besonders gerne entgegen: „Auch der Glaube an die gleichmachende Kraft des Todes ... steht in einem deutlichen Widerspruch zum Karmaglauben. Dieser geht von einer wesenhaften, selbstverursachten Ungleichheit der Menschen aus, die sich auch über den Tod hinaus fortsetzt und auswirkt (92).“ Seit wann glauben die Christen an eine „gleichmachende Kraft des Todes“? Als ob in irgendeiner Religion eine größere Ungleichheit nach dem Tode vorstellbar wäre, als die ewige Verbannung der Toten in Himmel oder Hölle, wie im Christentum. Es gibt jedoch einen Ausspruch des Christus, der in völliger Übereinstimmung mit der Karmalehre steht: „Wahrlich ich sage euch: Wenn ihr etwas auf der Erde binden werdet, wird es im Himmel gebunden sein, und wenn ihr etwas auf der Erde lösen werdet, wird es im Himmel gelöst sein (Mt 1 8,1 8).“ Mit diesem Ausspruch hat der Christus klar darauf hingewiesen, daß die Werke oder Taten mit dem Menschen im Himmel, der geistig-astralen Welt, auch nach dem Tode verbunden bleiben, sofern das Karma nicht vorher auf der Erde ausgeglichen oder „gelöst“ wurde.

          Aus den vorgenannten Tatsachen erklärt sich auch die Ungleichheit der Lebensbedingungen, worauf die christlichen Autoren vorsichtshalber gar nicht eingehen. Sie müßten nämlich dann die Ungleichheit der Geburt und der Lebensbedingungen als durch ihren Gott verursacht ansehen, was wiederum zu erheblichen Zweifeln an der Gerechtigkeit dieses Gottes führen muß. Sie vergessen offenbar, daß gerade die Ungleichheit der Lebensbedingungen, von Geburt an, viele Menschen dazu geführt hat, an der Existenz eines gerechten Gottes zu zweifeln. Ja, daß dieser Zweifel sogar bei berühmten Denkern zu der Ansicht geführt hat, daß diese Welt nicht von einem Gott, sondern von einem Teufel erschaffen wurde, wie Bertrand Russell behauptet:

          „Betrachten wir die lange Geschichte der Handlungen, die von moralischer Leidenschaft inspiriert waren: Menschenopfer, Ketzerverfolgungen, Hexenjagden, Pogrome bis zur Tötung in großem Ausmaß durch Giftgas, das, wie man annehmen muß, zumindest einer der bischöflichen Kollegen von Dr. Barnes bevorzugt, da er Pazifismus für unchristlich hält. Sind diese Abscheulichkeiten und die ethischen Lehren, von denen sie veranlaßt werden, wirklich Beweise für einen intelligenten Schöpfer? Und können wir wirklich wünschen, daß die Menschen, die sie verübt haben, ewig leben? Die Welt in der wir leben, läßt sich als das Ergebnis von Wirrwarr und Zufall verstehen; wenn sie jedoch das Ergebnis einer Absicht ist, muß es die Absicht eines Teufels gewesen sein (93).“

          Dies sagte nicht irgendjemand, sondern ein Nobelpreisträger, also ein Vordenker erster Klasse! Solche Urteile müssen jeden, der in Sorge ist um den Fortgang der menschlichen Entwicklung, schmerzhaft berühren, denn solche undifferenzierten Fehlurteile eines berühmten Vordenkers führen zwangsläufig zu richtigen ethischen Katastrophen, worauf ich im Kapitel über die Ethik noch zurückkommen werde. Der erste logische Fehler des Zitates liegt darin, daß Russell bestimmte Verbrechen als Folgen „moralischer“ Leidenschaft hinstellt. Nach allen Regeln menschlicher Erkenntnis kann aber moralische Leidenschaft niemals zu irgendwelchen Verbrechen führen, sondern nur „unmoralische“ Leidenschaft. Auch hat Russell nie gelernt, zwischen universaler und relativer Ethik zu unterscheiden, denn die angeführten „Abscheulichkeiten“ sind nicht das Ergebnis der universalen Ethik, sondern zeugen gerade vom Fehlen jeder positiven Ethik, bzw. deren völliger Mißdeutung. Obendrein ist sein Urteil die gerade logische Folgerung aus der Irrlehre, daß der Mensch nur einmal auf dieser Erde verkörpert wird. Von der Möglichkeit, daß hier eine Millionen Jahre währende Entwicklung des Menschen stattfindet, hat er offenbar nie etwas gehört, denn natürlich halten es die studierten Herren für unter ihrer Würde, Bücher wie die „Geheimlehre“ von H. P. Blavatsky zu lesen. Aber sie halten es nicht für unter ihrer Würde, im 20. Jahrhundert noch Urteile zu fällen, die jede tiefere Einsicht in die kosmische und menschliche Entwicklung vermissen lassen.

          Auch die folgende unwahre Behauptung soll korrigiert werden: „Überwindung von Ungerechtigkeit und Leid auf dem Weg der Weltveränderung und des Kampfes spielt im Rahmen des Karmaglaubens keine Rolle (94).“

          Da die Yoga-Systeme schon existierten, bevor das Christentum das Licht der Welt erblickte, sollte man annehmen, daß ihre Lehren inzwischen auch zu den Anführern der christlichen Kirche durchgedrungen sind. Dies scheint jedoch nicht der Fall zu sein, sonst wäre ein solches Urteil unmöglich. Im Yoga gibt es sogar einen ganzen Zweig, der sich ausschließlich mit Überwindung von Ungerechtigkeit und Leid durch gute Taten befaßt. Er wird Karma-Yoga genannt, und bei Horst E. Miers heißt es dazu u. a.: „In der Bhagavad-Gita die Bezeichnung für ein Kapitel über eine spezielle Form des Yoga; es ist das Yoga des Tuns und der Werke. In diesem Sinne ist die Erlösung vom Tun nur durch das Tun, nicht aber durch das Nicht-Tun möglich. Die Idee des Karma-Yoga zeigt viele Parallelen zum Christentum, wie es Christus lehrte (95).“ Mit dieser Auslegung des Karma-Yoga stimmen auch die okkulten Lehren von Rudolf Steiner vollständig überein, der sogar das sittlich-soziale Handeln über das Streben nach geistiger Vollkommenheit stellte.

          Obwohl sich die Antwort des Okkultismus aus den vorangegangenen Ausführungen bereits ergibt, möchte ich zu den folgenden Sätzen noch besonders Stellung nehmen: „Aus der Sicht des Neuen Testaments besitzt allein Gott Unsterblichkeit (1 Tim 6,16). Unvergängliches Leben ist auf diesem Hintergrund nur denkbar als im Glauben empfangene und in der Liebe verwirklichte Gabe Gottes, nicht als Endergebnis menschlichen Strebens (96).“ Der Christus ist in dieser Beziehung ganz anderer Ansicht: „Wenn jemand mir nachkommen will, verleugne er sich selbst und nehme sein Kreuz auf und folge mir nach (Mk 8,34).“ Von einer Gabe Gottes ist überhaupt nicht die Rede!

          Selbstverständlich ist das ewige Leben auch nach okkulter Lehre eine Gabe Gottes, wie ich im Kapitel über „Gott und Mensch“ dargelegt habe. Wichtiger noch als die Frage nach dem ewigen Leben an sich scheint mir die zu sein, in welchem Zustand der Mensch die Ewigkeit durchlebt. Und der Okkultismus lehrt eben in Übereinstimmung mit dem Wort des Christus von der Selbstverleugnung und der Aufnahme des Kreuzes, daß dieser Zustand ausschließlich vom eigenen Streben und der Selbsterkenntnis des Menschen abhängt.

          Die nachstehende unwahre Behauptung kann ebenfalls leicht widerlegt werden: „Dann stellen sich (für den Christen, d. V.) Fragen nach dem ,Zwischenzustand' zwischen dem Tod des Einzelnen und der Auferstehung der Toten insgesamt, nach dem Zustand der Seele im Zwischenzustand und andere mehr. Der Reinkarnationsglaube hat solche Probleme nicht, weil es für ihn kein Reich Gottes und keine endgültige, menschliche Überwindung von Sterben und Tod gibt (97).“

          Wie ich im Kapitel über die Hierarchie gezeigt habe, besitzt der Reinkarnationsglaube viel mehr Wissen über das Reich Gottes, als die christliche Kirche jemals im Laufe ihrer Geschichte besessen hat. Die Berichte Rudolf Steiners über den Zwischenzustand zwischen dem Tod und neuer Geburt umfassen Hunderte von Seiten. Alleine sein Werk „Okkulte Untersuchungen über das Leben zwischen Tod und neuer Geburt“ hat 374 Seiten! In seinem Werk „Theosophie“ sind ausführliche Kapitel mit den Titeln „Die Seele in der Seelenwelt nach dem Tode“ und „Der Geist im Geisterland nach dem Tode“. Darstellungen von gleicher Präzision finden sich bei Franz Bardon in „Die Praxis der magischen Evokation“ im Kapitel „lm Bereich der Wesen“. Kurz gesagt, Okkultismus und Magie besitzen eine solche Fülle von Forschungsergebnissen über die Zustände zwischen Tod und neuer Geburt, daß es unmöglich ist, diese hier in Kürze zu behandeln.

          Wie Steiner in seiner „Theosophie“ beschreibt, durchwandert der Geist nach dem Tode zunächst sieben Ebenen der astralen Welt und danach sieben Ebenen der mentalen Welt, um dort bestimmte Erfahrungen zu machen und unterrichtet zu werden über die spezifischen Gesetze der einzelnen Sphären oder Himmel. Diese Schilderungen Steiners haben ihre Parallelen in denen im slavischen Henochbuch über die sieben Himmel und jenen im vierten Buch Esra „Über die siebenfältige Pein und die siebenfältige Freude des Zwischenzustandes“, wo es u. a. heißt:

          „Über den Tod aber habe ich dir zu sagen: wenn der entscheidende Spruch von dem Höchsten ergeht, daß der Mensch sterben soll, wo sich der Geist vom Körper trennt und zu dem zurückkehrt, der ihn gegeben hat, um zunächst vor der Herrlichkeit des Höchsten anzubeten: hat a nun zu den Verächtern gehört, die die Wege des Höchsten nicht bewahrt, die sein Gesetz verschmäht und die Gottesfürchtigen gehaßt, solche Seelen gehen nicht in die Ruhekammern ein, sondern müssen sogleich qualvoll umherschweifen, unter ständigem Seufzen und Trauern, in siebenfältiger Pein. — Denen aber, die des Höchsten Wege bewahrt haben, gilt diese Ordnung, wenn sie sich trennen dürfen von diesem sterblichen Gefäß. Damals, als sie noch darinnen lebten, haben sie dem Höchsten unter Mühsalen gedient und haben stündlich Gefahren erduldet, um das Gesetz dessen, der es gegeben, vollkommen zu halten. Deshalb gilt ihnen diese Verheißung: Zuerst schauen sie mit lautem Frohlocken die Herrlichkeit dessen, der sie zu sich nimmt; dann gehen sie in die Ruhe ein zu siebenfacher Freude (98).“

          Diese siebenfältigen Zustände sind dort noch im einzelnen beschrieben, und es gehört zur Elementarschulung der okkulten Geisteswissenschaft, solche Beschreibungen miteinander zu vergleichen. Eine andere Version aus der jüdischen Mystik beschreibt G. Scholem: „Außer dem grobstofflichen Leib, der von den Sinnen wahrgenommen wird, gibt es darnach noch einen feinstofflichen, der Wahrnehmung der Sinne entrückten Leib, der seine Eigenschaften (ganz im Sinne der platonischen und neuplatonischen Psychologie) beim Durchgang durch die Sphären der Himmelskörper nach deren jeweiligem spezifischen Charakter erwirbt (99).“

          Hier möchte ich darauf hinweisen, daß der Mensch nach den Lehren von Bardon nach dem Tode nicht die Sphären der Himmelskörper durchwandert, sondern nur die diesen Sphären analogen geistigen und astralen Ebenen der Erdgürtelzone. Die Planetensphären können nur von einem voll entwickelten Magier aufgesucht werden, worüber ich in meinem Buch „Theosophie und Anthroposophie im Licht der Hermetik“ bereits ausreichend geschrieben habe.

          Die Beispiele der Darstellungen über das Leben nach dem Tode ließen sich noch erheblich vermehren, wenn man zusätzlich die Totenbücher der verschiedenen Völker zu Rate ziehen würde. Zusammenfassend endet dann die christliche Beurteilung der Lehren von Reinkarnation und Karma in der Feststellung: „Eine wissenschaftlich gesicherte Auskunft über die Frage: ,Leben wir nur einmal auf Erden?' (oder wie immer die volkstümliche Form der Frage lauten mag) kann es nicht geben' (100).“

          Was der Autor unter „wissenschaftlich gesicherte Auskunft“ versteht, dazu schweigt er sich vorsichtshalber aus. Offensichtlich hält er die Aussagen von Moses, den Propheten und Christus nicht für „gesicherte Auskünfte“. Daraus erwächst die Frage, womit dieser Christ seinen Glauben überhaupt noch rechtfertigen will. Die Ablehnung der geistigen Forschung gehört seit Jahrhunderten zur Politik der Kirche, um die Gläubigen zu unmündigen weltanschaulichen Dummköpfen zu erziehen. Ein wahres Verbrechen an der Menschheit, worauf der Christus schon hingewiesen hat:

          „Wehe aber euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, Heuchler! Denn ihr verschließt das Reich der Himmel vor den Menschen, denn ihr geht nicht hinein, noch laßt ihr die, welche hineingehen wollen, hineingehen (Mt. 23,13).“

          Das erwähnte Buch endet dann, ohne daß der Autor auch nur mit einem einzigen Wort auf jenen Widerspruch zwischen christlichem Glauben und Reinkarnationsglauben zu sprechen kommt, der der größte und stärkste von allen ist. Es ist hier jener Glaube gemeint, nach dem der Mensch nach dem Tode dem göttlichen Gericht verfällt, um auf ewig entweder in den Himmel oder in die Hölle verbannt zu werden. Der Verfasser tut so, als sei dies für den modernen Theologen überhaupt kein Thema mehr. Karlheinz Deschner ist da ganz anderer Meinung:

          „Mit Texten, die durch alle christlichen Zeiten die Schrecken der Hölle schildern, könnte man gigantische Bibliotheken füllen. Und ungeachtet dessen, daß das Papsttum den Höllenglauben nie dogmatisch definierte: er brachte ihm nicht nur mehr ein als jeder (definierte) Glaubenssatz, sondern steht, auch undefiniert, für den Katholizismus und die protestantische Orthodoxie unumstößlich fest. Die berühmtesten Autoritäten des Christentums schärfen die Existenz der Hölle immer wieder ein. Über siebzigmal spricht die Bibel von ihr. Fünfundzwanzigmal beruft sich Jesus auf sie, warnt er vor dem ,Wurm, der nicht stirbt', dem ,Feuer, das nicht erlischt', dem ,unauslöschlichen Feuer', ,der ewigen Strafe’ (101).“

          Dieser Glaube wird auch im Katholischen Erwachsenenkatechismus bestätigt: "Die Lehre der Kirche, welche die Ewigkeit der Höllenstrafen ausdrücklich verteidigt hat, steht also auf einem guten und gesicherten biblischen Fundament (102).“

          Im evangelischen Lager sind die Anschauungen unterschiedlich bis chaotisch, und die Bibelkenntnis scheint bei manchen Autoren mehr als mangelhaft zu sein, sonst wären Urteile wie dieses in einem Übersichtswerk unmöglich: „Vorausschickend ist zu sagen, daß es in der Bibel keine Lehre vom Jenseits, von der Hölle oder vom Totenreich gibt. An keiner Stelle werden Höllenqualen ausgemalt; auch daß die Gerichteten dem Teufel als dem Herrn der Hölle ausgeliefert würden, ist nirgendwo zu lesen (103).“ Eine platte Unwahrheit, wie das folgende Zitat des Christus beweist: „Und der König wird antworten und ihnen sagen: Wahrlich, ich sage euch, wenn ihr es einem der geringsten meiner Brüder getan habt, habt ihr es mir getan. Dann wird er auch zu denen zur Linken sagen: Geht von mir, Verfluchte, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln! Und diese werden hingehen in die ewige Pein, die Gerechten aber in das ewige Leben (Mt 25,40-46).“

          Die eindrucksvollsten Berichte zu Gericht, Himmel und Hölle sind zweifellos in den Apokryphen enthalten. Rudolf Steiner hatte bereits darauf hingewiesen, daß sich in Zukunft die Charaktereigenschaften der Menschen im physischen Leib ausprägen werden, wozu es in der „Apokalypse des Baruch“ heißt: „Da werden beide, die und jene, umgewandelt: die einen zu der Engel Glanz; die anderen aber schwinden noch mehr hin, zu schrecklichen Erscheinungen und furchtbaren Gestalten (104).“ Einen Vorgeschmack auf diese Zeiten bieten bereits die modernen Science-Fiction- und Horror-Filme in großer Auswahl.

          Großes Rätselraten besteht in bezug auf die Frage, worin die sogenannten Strafen der Menschen nach dem Tode bestehen. Auch hierin besteht völlige Übereinstimmung mit dem was Steiner in seiner „Theosophie“ ausgeführt hat und den Apokryphen, denn es heißt dort wörtlich: „Womit ein Mensch gesündigt, damit wird er bestraft (105).“ Der Mensch erfährt somit nach seinem Tode jeden Schmerz, den er Menschen oder Tieren zugefügt hat, am eigenen Seelenleib, woraus sich dann die Impulse bilden für das Schicksal der zukünftigen Verkörperungen. Dies wird auch in den folgenden Zeilen deutlich, obwohl darin noch der leichtfertige Umgang mit der Ewigkeit lebt: „Wer eine Menschenseele schädigt, schädigt seine eigene Seele, und dafür gibt es keine Heilung in Ewigkeit. Wer einen Menschen auf krumme Wege führt, dessen Gericht wird in Ewigkeit nicht erschöpft sein (106).“ Wie die okkulten Forschungen ergeben haben, hat der Mensch sehr lange Zeit, um sich endgültig für den Weg des Lichtes oder der Finsternis zu entscheiden. Aus okkulter Sicht steht jedenfalls fest, daß der Weg zur Freiheit notwendigerweise mit der Beseitigung von negativem Karma verknüpft ist: Jeder Irrtum und jede Lüge muß in eine Wahrheit verwandelt werden, jede durch Betrug, Diebstahl oder Raub erworbene Mark muß bis auf den letzten Pfennig zurückgezahlt werden, jeder einem beseelten Wesen zugefügte Schmerz muß durch eine entsprechende Freude ersetzt werden. Wie sich durch bestimmte negative Gewohnheiten und Charaktereigenschaften gewisse Dispositionen zu bestimmten Krankheiten in den folgenden Verkörperungen bilden, ist von Steiner recht gut beschrieben worden.

          Interessant ist diese Beschreibung gewisser geistiger Wesen, wobei ich hinweisen möchte auf die Ikonographie des tibetischen Buddhismus: „Ich sah die Schlüsselbewahrer der Hölle den Toren gegenüber wie große Schlangen stehen. Ihr Antlitz glich erloschenen Lampen und ihre Augen verdunkelten Flammen, und ihre Zähne waren bis zu ihrer Brust entblößt (107).“

          Im „Vierten Buch Esra“ wird deutlich auf das Gesetz des Karma hingewiesen: „Und viel besser wäre es für uns, wenn wir nach dem Tode nicht ins Gericht müßten! Er (der Engel, d. V.) antwortete mir und sprach: Ehe der Höchste die Welt schuf, Adam und alle seine Nachkommen, hat er vorher das Gericht, und was zum Gericht gehört, bereitet. Nun aber lerne aus deinen eigenen Worten. Du sagtest ja: die Vernunft wachse mit euch auf, Ebendeshalb verfallen, die auf Erden weilen, der Pein, weil sie trotz der Vernunft, die sie doch besaßen, gottlos gehandelt, weil sie die Gebote, die sie doch erhalten, nicht beobachtet und das Gesetz, das ihnen doch gegeben, trotzdem sie es empfangen, gebrochen haben. Was werden sie beim Gericht zu sagen vermögen (108)?“

          Wie ich im Kapitel über die Hierarchie beschrieben habe, gibt es nach den Lehren der Magie keine Hölle im kirchlichen Sinne. Damit ist jedoch nicht gesagt, daß der Mensch nicht solche Wege beschreiten könnte, die ihn zu jenem Verderben führen, das in der Bibel mit Begriffen wie Hölle, ewiges Feuer oder Pein umschrieben wird. Nach den okkulten Lehren ist der „Weg des Verderbens“ aber nur im Laufe sehr vieler Verkörperungen zu verwirklichen. Der Gott der Okkultisten ist nämlich ein gnädiger Gott, der dem Menschen nicht nur die Chance eines Lebens auf der Erde gibt, sondern deren Tausende. Der rechte Pfad zum Licht und der linke Pfad zur Finsternis hängen eng zusammen mit der Entwicklung des menschlichen Ich. Dabei muß man berücksichtigen, daß Metatron-Christus durch seine Inkorporation die göttliche Macht des Ich auf die Erde gebracht hat, worauf er mehrfach hingewiesen hat: „Meint nicht, daß ich (das Ich) gekommen sei, Frieden auf die Erde zu bringen; ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Denn ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter; und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein (Mt 10,34).“ Und bei L 12,51: „Denkt ihr, daß ich (das Ich) gekommen sei, Frieden auf der Erde zu geben? Nein, sage ich euch, sondern vielmehr Entzweiung.“

          Ohne das Wissen davon, daß der Metatron-Christus der Bringer der Ich-Macht ist, bleiben Aussagen wie die vorgenannten völlig unverständlich für einen Menschen, der fortlaufend von der Nächstenliebe spricht. Die Problematik der Ich-Entwicklung ist von Steiner eindrucksvoll in seinen Vorträgen über die Apokalypse des Johannes behandelt worden. Dort heißt es unter anderem im Zusammenhang mit dem Weg des Verderbens: „So wird das Ich das Unterpfand sein des höchsten Zieles des Menschen. So ist es aber zu gleicher Zeit, wenn es nicht die Liebe findet, wenn es sich in sich verhärtet, der Verführer, der ihn in den Abgrund stürzt. Dann ist es dasjenige, was die Menschen voneinander trennt, was sie aufruft zum großen Krieg aller gegen alle (109).“

          Die zukünftige Entwicklung der Menschheit wird eine magische sein, auch wenn die meisten davon heute noch nichts wissen wollen. Die Entwicklung schreitet in dieser Richtung mit derselben Dynamik vorwärts wie in der Technik, worauf Steiner deutlich hingewiesen hat: „Es wird sich letzten Endes die Menschheit spalten in Wesen, welche die weiße, und in solche, welche die schwarze Magie treiben. — So tritt sozusagen in unseren Horizont ein die Spaltung der Menschheit in urferner Zukunft: die Auserwählten des Christus, die zuletzt sein werden die weißen Magier, und die Gegner, die wilden Zauberer, die schwarzen Magier, die nicht los können von der Materie und die der Apokalyptiker darstellt als diejenigen, die mit der Materie Unzucht treiben. — Wir sehen sich herauserheben aus der Kraft der weißen Magier die vorbereitenden Gestalten, die hinüberleben sollen als die Gestalten der nächsten Erdenverkörperung, des Jupiters: das neue Jerusalem sehen wir aus der weißen Magie sich erheben (110).“

          Franz Bardon hat insbesondere in seinem Kapitel über Pakte mit geistigen Wesen zum Weg des Verderbens ausführlich Stellung genommen. Hier soll die Essenz kurz dargestellt werden: „Es wird vielleicht die Frage aufkommen, ob ein solcher Zauberer einem Wesen und Vorsteher auf ewig ausgeliefert ist. Für Magier, die in allen Sphären daheim sind, ist diese Frage kein Problem. Sobald ein Zauberer nach einer gewissen Frist, die nach unserer Zeitrechnung auch Hunderte von Jahren dauern kann, da es ja in den Sphären weder Zeit noch Raum gibt, seinem Vorsteher mit Zins und Zinseszins alle Dienste abgezahlt hat, die ihm der Vorsteher auf unserer Erde erwiesen hatte, rührt sich im verstärkten Maß bei ihm das Gewissen, und seine vierpolige Beschaffenheit fühlt sich allmählich von den Banden befreit. Hat der Zauberer bis auf den letzten Heller alle Schuld beglichen, kann er wieder über sich selbst verfügen. Unterdrückt er aber auch dann noch das Gewissen, das in ihm aufkommt, oder will er es nicht hören, bleibt er weiterhin in der Sphäre seines Vorstehers. Nach und nach verliert er dann seine Vierpoligkeit und identifiziert sich derart mit der Ebene, in der er sich befindet, daß er ihre Schwingungen für immer aufnimmt und sich auf diese Weise selbst verdammt. Der Zauberer hört dann auf, Mensch nach dem Ebenbilde Gottes zu sein und wird zu einem Wesen dieser Sphäre, sinkt also zu einem Dämon hinab. Dies ist wohl der bedauerlichste Zustand und läßt sich vom religiösen Standpunkt aus als Verdammnis, als wahre Sünde wider den Heiligen Geist, benennen (111).“

          Wie gezeigt, besitzt die Magie weit exaktere Lehren über den Weg des Verderbens als die Kirche. Es könnte vielleicht der Einwand gemacht werden, daß ja die meisten Menschen keine Zauberer seien und deshalb der genannten Gefahr nicht ausgesetzt seien. Ein solcher Einwand entspringt reiner Unwissenheit, denn jeder zukünftige Entwicklungszustand der Menschheit hat seine bestimmten Vorstufen. Es ist eine statistisch festgestellte Tatsache, daß Folter und Mord weltweit zunehmende Tendenz zeigen. Aus okkulter Sicht sind nun die Folterknechte und Mörder der Gegenwart die Zauberer und Schwarzmagier der Zukunft, sofern sie sich nicht noch vorher zur Umkehr entschließen. Die menschliche Entwicklung zeigt sich hier von ihrer harten und ernstesten Seite.

          Schwierig ist die Lage der Bibeldeuter bei jenen Teilen, die vom Zorn Gottes berichten. Da heißt es z. B.: „Gottes Zorn gehört zu seiner Heiligkeit. — Allem Gottfeindlichen gilt Gottes Zorn. — Gott zürnt, weil wir ihm so unendlich wichtig sind. — Gottes Liebe hat das tödliche Geschoß seines Zornes auf sich selbst gelenkt, auf seinen Sohn. — Wer Jesus ablehnt, gibt sich mutwillig dem Zorn Gottes preis (112).“

          Jedem Okkultisten ist klar, daß der Begriff „Zorn Gottes“ symbolisch gemeint ist und mit der ausgleichenden Gerechtigkeit des Schicksals, die wir mit dem Begriff „Karma“ bezeichnen, zusammenhängt. Diese Deutung wird auch in der Bibel deutlich: „Nach deiner Störrigkeit und deinem unbußfertigen Herzen aber häufst du dir selbst Zorn auf für den Tag des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes, der einem jeden vergelten wird nach seinen Werken: denen, die mit Ausdauer in gutem Werk Herrlichkeit und Ehre und Unverweslichkeit suchen, ewiges Leben; denen jedoch, die von Selbstsucht bestimmt und der Wahrheit ungehorsam sind, der Ungerechtigkeit aber gehorsam, Zorn und Grimm (Röm 2,5).“

          Wie gesagt, kommt der Begriff „Karma“ aus dem indischen Sanskrit, und es wird mit diesem Wort in den östlichen Geheimlehren auf die göttliche Gerechtigkeit hingewiesen, wonach jede menschliche Tat, geistig, seelisch und physisch, auf den Menschen zurückfällt, sowohl im Positiven wie im Negativen. Der Zorn oder Grimm Gottes deutet hier demnach bildhaft auf die negativen Folgen für böse Taten oder Sünden.

          Eng mit dem Begriff der göttlichen Gerechtigkeit ist die Gnade verbunden, die meistens in Verbindung mit der Sündenvergebung genannt wird. Sofern man Gott die Eigenschaft der Gerechtigkeit zuschreibt, kann niemals Gnade vor Gerechtigkeit gehen, denn sonst würde nicht nur die Gerechtigkeit Gottes, sondern auch seine universale Wahrhaftigkeit mit einem Schlag zusammenbrechen. Darauf hat Bardon ganz klar hingewiesen: „Einmal geschaffene negative Wirkungen, ganz gleich auf welche Art, müssen laut Gesetz von Ursache und Wirkung abgetragen und ausgeglichen werden. Vielleicht würde man einwenden, daß die Göttliche Vorsehung in ihrem Aspekt der Barmherzigkeit und der göttlichen Liebe zuweilen eine Ausnahme machen könnte. Der wahre Magier weiß, daß auf Ursachen, die geschaffen wurden, immer Wirkungen folgen müssen, sonst wäre das Karmagesetz, d. h. das Gesetz der Vergeltung, die ganze Gesetzmäßigkeit des Universums, überhaupt nicht wahr, demnach illusorisch. Daß dem nicht so ist, sondern daß sich alles nach den wahren Gesetzen mit einer bewunderungswürdigen Genauigkeit abwickelt, braucht nicht betont zu werden. Die göttliche Liebe und Barmherzigkeit mit allen Nebenaspekten wie z. B. Güte usw. geht so weit, daß sie den Menschen erkennen läßt, daß er selbst Ursache des ihn überkommenden Leides ist, welche Erkenntnis ihn sein Leid leichter tragen läßt. Vom richtigen universalen Standpunkt aus kann die Vorsehung im Aspekt der Liebe, Güte usw. nicht weiter eingreifen (113).“ Die Gnade Gottes kann sich also nur darauf beschränken, dem Menschen Gelegenheit zu geben, seine negativen oder bösen Taten im Laufe seiner Entwicklung durch positive oder gute Werke wieder auszugleichen, worin sich alle wahren Karmalehren einig sind.

          Einmal verursachte Wirkungen müssen also nach dem Gesetz des Karma immer eine entsprechende Gegenwirkung hervorrufen. Eine andere Frage ist diejenige, ob ein Wesen stellvertretend für ein anderes karmische Schulden übernehmen kann. Dazu hat uns Steiner ein gutes Beispiel geliefert: „Indessen ist Karma eine Art von Lebenskonto, das man ganz gut mit einem kaufmännischen Konto vergleichen kann. Auf der einen Seite stehen die Sollposten und auf der anderen die Habenposten. Sie werden addiert und die Bilanz wird gezogen. Es wäre ein sonderbarer Kaufmann, der sagte: Ich will keine Geschäfte mehr machen, damit meine Bilanz nicht verschoben wird. — So wie in jedem Moment des kaufmännischen Lebens ein neues Geschäft vollzogen werden kann, so kann in jedem Moment durch eine neue Tat ein neues Karma herbeigeführt werden. Wenn jemand meint: Das Leiden hat ein Mensch sich selbst zugezogen, er hat es selber verdient, also darf ich ihm nicht helfen —, so ist das Torheit. Das ist gerade so, als ob man zu einem Kaufmann, der bankrott ist, sagte: Zwanzigtausend Mark würden dir helfen, aber wenn ich sie dir gäbe, würde ich ja in dein Kontobuch störend eingreifen. — Das wäre sicher nicht der Fall. Die geliehene Summe würde nur in das Kontobuch eingeschrieben werden. So ist es auch mit dem Leben. Es muß nur ausgeglichen werden, aber es muß nicht immer von einem selbst ausgeglichen werden. Karma besagt nicht das Selbstausgleichen, sondern nur das Ausgeglichenwerden durch eine Tat. Nun nehmen Sie an, Sie seien ein reicher, mächtiger Mann, der nicht nur einem, sondern zweien helfen kann. Dann können Sie in das Karma von zweien eingreifen. Gerade weil Karma besteht, können Sie in das Lebenskonto dieser beiden eingreifen (114).“ Aus diesen Beispielen folgt, daß auch keine Rede davon sein kann, daß der Christus sich die karmischen Schulden der ganzen Welt auf den Rücken packt. Wie Rudolf Steiner erklärt hat, übernimmt der Christus nicht das Einzelkarma der Menschen, sondern nur jenen Teil, den wir im Okkultismus als Weltenkarma bezeichnen. Darauf wird in einem Gleichnis der Bibel hingedeutet: „Frühmorgens aber kam er wieder in den Tempel, und alles Volk kam zu ihm; und er setzt sich und lehrte sie. Die Schriftgelehrten und die Pharisäer aber bringen eine Frau, die beim Ehebruch ergriffen worden war, und stellen sie in die Mitte und sagen zu ihm: Lehrer, diese Frau ist auf frischer Tat beim Ehebruch ergriffen worden. In dem Gesetz aber hat uns Mose geboten, solche zu steinigen. Du nun, was sagst du? Dies aber sagten sie, ihn zu versuchen, damit sie etwas hätten, um ihn anzuklagen. Jesus aber bückte sich nieder und schrieb mit dem Finger auf die Erde. Als sie aber fortfuhren, ihn zu fragen, richtete er sich auf und sprach zu ihnen: Wer von euch ohne Sünde ist, werfe zuerst den Stein auf sie. Und wieder bückte er sich nieder und schrieb auf die Erde. Als sie aber dies hörten, gingen sie einer nach dem anderen hinaus, angefangen von den Ältesten, und er wurde allein gelassen mit der Frau, die in der Mitte stand. Jesus aber richtete sich auf und sprach zu ihr: Frau, wo sind jene? Hat niemand dich verurteilt? Sie aber sprach: Niemand, Herr. Jesus aber sprach zu ihr: So verurteile auch ich dich nicht. Geh hin und sündige nicht mehr (Joh. 8,2)!“

          Warum schreibt der Christus mit dem Finger auf die Erde? Um darauf hinzuweisen, daß die Schuld da Ehebrecherin mit der Erde verbunden ist und durch eine andere Tat ihren Ausgleich finden muß.

          Nach den Lehren des Okkultismus hat das Leben des Menschen keinen vorgegebenen Sinn oder Zweck, sondern der Mensch ist dazu aufgerufen, seinem Leben selbst einen Sinn zu geben. Damit der Mensch auch genug Zeit hat, diesen Sinn zu finden, darf er während vieler Verkörperungen durch Millionen von Jahren danach suchen. Mit der Entwicklung ist ein hohes Maß von Freiheit verbunden, und der Gang der Geschichte ist Ausdruck dieser Entwicklung. Zum Sinn des Lebens hat Steiner einmal treffend gesagt, Gott sei so selbstlos, daß er einer riesigen Anzahl von Menschen den gleichen Bewußtseinsinhalt gönne, wie er selbst ihn besitzt. Diese Auffassung unterscheidet sich erheblich von einer christlichen wie dieser: „Wir sind auf Erden, um Gott zu erkennen, ihn zu lieben, ihm zu dienen und dadurch in den Himmel zu kommen (115).“

          Außerdem lehrt der Okkultismus in Übereinstimmung mit der Bibel, daß leider nicht alle Menschen „in den Himmel“ kommen werden, wenn die „Vollendung des Zeitalters“ gekommen ist, wie es in Mt 13,37 heißt: „Er (Jesus Christus, d. V.) aber antwortete und sprach: Der den guten Samen sät, ist der Sohn des Menschen, der Acker aber ist die Welt; der gute Same aber sind die Söhne des Reiches (Malchuth, d. V.), das Unkraut aber sind die Söhne des Bösen; der Feind aber, der es gesät hat, ist der Teufel; die Ernte aber ist die Vollendung des Zeitalters, die Schnitter aber sind Engel. Wie nun das Unkraut zusammengelesen und im Feuer verbrannt wird, so wird es in der Vollendung des Zeitalters sein. Der Sohn des Menschen wird seine Engel aussenden, und sie werden aus seinem Reich alle Ärgernisse zusammenlesen und die, die Gesetzloses tun; und sie werden sie in den Feuerofen werfen: da wird das Weinen und das Zähneknirschen sein. Dann werden die Gerechten leuchten wie die Sonne in dem Reich ihres Vaters. Wer Ohren hat, der höre!“

          Die „Vollendung des Zeitalters“ ist nach den Lehren des Okkultismus identisch mit der siebten Erdinkarnation, bei Steiner als Vulkan-Zustand bezeichnet. Zu jener Zeit werden diejenigen Menschen, die den „Pfad des Verderbens“ gewählt haben, endgültig von der positiven Entwicklung der Menschheit getrennt. Diese Trennung wird durch die „Schnitter-Engel“, also die Richter der Saturnsphäre, durchgeführt.

          Durch Frau Helena P. Blavatsky wurden den esoterischen Lehren erstmals das Wissen von den sieben Erdinkarnationen oder planetarischen Zuständen eingefügt. Diese Lehre wurde dann von Rudolf Steiner teilweise präzisiert und erweitert, sowie mit den folgenden Namen belegt: 1. Saturn, 2. Sonne, 3. Mond, 4. Erde, 5. Jupiter, 6. Venus, 7. Vulkan. In meinem Buch „Theosophie und Anthroposophie im Licht der Hermetik“ habe ich mich schon zu den Darstellungen von Blavatsky und Steiner geäußert, deshalb soll hier nur kurz darauf eingegangen werden. Mit den sieben Erdinkarnationen hängt unter anderem der Abstieg des menschlichen Geistes in die Materie und sein Wiederaufstieg aus der Materie ab, sowie die Geburt der vier Elemente in der physischen Welt. Wie die Erdentwicklung mit dem Tetragrammaton JHVH in Verbindung steht, habe ich in der Tabelle auf Seite 86 dargestellt. Es ist von einiger Wichtigkeit, sich klarzumachen, daß die Inhalte der Genesis, des Messianismus und der Apokalyptik gewisse Analogien aufweisen zu diesen sieben Erdinkarnationen, sich demnach auf ungeheure Zeiträume beziehen.

          Kenntnis über alle diese Dinge erhält der Eingeweihte entweder durch die Engel und Genien oder direkt durch das Lesen in der universalen Chronik, auch Akasha-Chronik genannt. In dieser Akasha-Chronik ist die gesamte menschliche Geschichte seit Beginn der Schöpfung verzeichnet. Einige Hinweise darauf sind in den Apokryphen zu finden: „Ich blickte hin und sah, wie eine Schriftrolle in seinen (des Engels, d. V.) Händen lag. Er fing nun an, sie aufzumachen. Als er sie ausgebreitet, da las ich sie in meiner Sprache und fand von ihm darin verzeichnet all meine Sünden, die ich je getan von meiner Kindheit bis zum heutigen Tag; sie alle waren in der Schriftrolle verzeichnet; darunter war auch nicht ein falsches Wort (116). — Er sprach zu mir: Betrachte, Henoch, diese himmlischen Tafeln! Lies, was darauf geschrieben steht, und merke alles einzelne! Da betrachtete ich die himmlischen Tafeln, das, was darauf geschrieben stand, merkte mir alles und las das Buch über alle Werke der Menschen und aller Fleischeskinder, die auf Erden bis zum letzten Geschlecht sein werden. — Ich schwöre euch Sündern bei dem Großen, Heiligen, daß alle eure bösen Werke in den Himmeln offenbar sind, und daß keines eurer gewalttätigen Werke verdeckt oder verborgen ist (117).“

Grundlagen zur Geburt der vier Elemente und den vier Erdinkarnationen.

— Gott - Akasha - Makrokosmos —

Hierarchie:

Saturn — Jupiter — Mars — Sonne — Venus — Merkur — Mond

Tetragrammaton:

Jod

He

Vau

He

Ur-Elemente: 

Feuer

Luft

Wasser

Erde

Elementewesen:

Salamander

Sylphen

Undinen

Gnomen

Erdinkarnation nach Steiner:

Saturn 

Sonne 

Mond 

Erde

Bewußtseinszustände des Menschen nach Steiner:

Trancebewußtsein

Tiefschlaf-

Bewußtsein

Traumbewußtsein

Wachbewußtsein— Gegenstandsbewußtsein

Mensch -

Mikrokosmos:

 

 

 

 

Geist-

Mentalkörper:

Wille

Intellekt

Gefühl

Ich-Bewußtsein

Mentalmatrize

 

 

 

 

Seele-

Astralkörper:

Willensseele

Verstandesseele

Empfindungsseele

Bewußtseinsseele

Astralmatrize

(Lebensleib)

 

 

 

 

Physischer

Körper:

Feuer

Luft

Wasser

Erde

 

 

 

 

 


          An dieser Stelle noch ein paar Worte zu dem, was unter dem Begriff Rassen- und Nationalitätenhaß bekannt ist. Dieser besondere Haß hat ja nicht nur im Laufe der Geschichte eine große Rolle gespielt, sondern feiert seine Triumphe bis in die Gegenwart. Der wahre Okkultist kann nie Rassist oder Nationalist im negativen Sinne sein, wenn er sich zu einem richtigen Verständnis von Reinkarnation und Karma durchgerungen hat. Er ist sich nämlich dann bewußt, daß der menschliche Geist sich in einer Vielzahl von Völkern und Rassen inkarniert. Nach dem Gesetz des Karma besteht die große Möglichkeit, daß ein Rassist sich in Zukunft gerade in dem Volk verkörpert, das er am meisten mit Haß verfolgt hat, damit er die Wirkungen des Rassenhasses am eigenen Leib zu spüren bekommt.

          Jetzt sollen einige Aussagen des Atheismus über das Weiterleben des Menschen nach dem Tode beleuchtet werden. Dazu möchte ich dem berühmten Bertrand Russell das Wort erteilen: „Die Philosophen glaubten, es gäbe bestimmte Substanzen, den Leib und die Seele, die von Tag zu Tag fortbestünden, und eine Seele, sobald sie einmal geschaffen sei, lebe bis in alle Ewigkeit fort, wogegen der Leib vom Tode bis zur Auferstehung des Fleisches zeitweise zu existieren aufhöre. Soweit diese Lehre das gegenwärtige Leben betrifft, ist sie fast mit Sicherheit falsch. Die Materie des Körpers ändert sich ständig durch Nahrungsaufnahme und -Ausscheidung. — Die Kontinuität eines menschlichen Körpers ist eine Sache des Aussehens und Verhaltens, nicht der Substanz. Das gleiche gilt für den Geist. Wir denken, fühlen und handeln, aber neben den Gedanken, Gefühlen und Handlungen gibt es keine reine Einheit, weder Geist noch Seele, die diese Vorkommnisse verursacht oder erleidet. Die geistige Kontinuität einer Person ist eine Kontinuität der Gewohnheit und der Erinnerung: Gestern gab es eine Person, an deren Gefühle ich mich erinnern kann, und diese Person betrachte ich als mein gestriges Ich. Aber mein gestriges Ich bestand tatsächlich nur aus gewissen geistigen Geschehnissen, an die ich mich jetzt erinnere und die ich als Teil der Person betrachte, die sich nun daran erinnert. Alles, was einen Menschen ausmacht, ist eine Serie von Erfahrungen, die durch Erinnerung und durch gewisse Ähnlichkeiten, die wir Gewohnheit nennen, miteinander verbunden sind.

          Wenn wir an ein persönliches Weiterleben nach dem Tode glauben sollen, müssen wir daher annehmen, daß die Erinnerungen und Gewohnheiten, aus denen der betreffende Mensch gebildet wird, weiterhin in einer neuen Reihe von Geschehnissen zum Ausdruck kommen. Niemand kann beweisen, daß das nicht der Fall ist. Es ist jedoch sehr unwahrscheinlich, wie man leicht einsehen wird. Unsere Erinnerungen und Gewohnheiten sind an die Gehirnstruktur gebunden, und zwar ungefähr so, wie ein Fluß an sein Flußbett gebunden ist (118).“

          Da die atheistische Argumentation bereits Anfang des 20. Jahrhunderts von Rudolf Steiner lang und breit widerlegt wurde, gehe ich hier nur noch kurz darauf ein. Wie vorne gezeigt, wird der physische Körper im Okkultismus lediglich als Werkzeug von Geist und Seele betrachtet. Es ist demnach das geistig-seelische Ich, welches denkt, fühlt, handelt, sich erinnert, Gewohnheiten hat. Es ist wohl auch nicht üblich, daß der gesunde Mensch bei der Erinnerung zwischen einem gestrigen und heutigen Ich unterscheidet, sondern daß er sich bewußt ist, daß das Ich von gestern auch dasjenige von heute ist. Die Einheit von Denken, Fühlen und Wollen kommt eben gerade im geistigen Ich des Menschen zum Ausdruck, das Ich ist diese Einheit! Wenn Russell also sagte „Die Kontinuität eines menschlichen Körpers ist eine Sache des Aussehens und Verhaltens, nicht der Substanz“, so bestätigt dies nur die Lehren des Okkultismus. Nach diesen wird nämlich die Form des physischen Körpers ausschließlich durch Geist und Seele erhalten, und wenn Geist und Seele mit dem Tode den Körper verlassen, so führt dies logischerweise dazu, daß sich die physische Form in ihre Bestandteile auflöst. Die menschlichen Erinnerungen und Gewohnheiten sind eben an Geist und Seele gebunden, und nicht an die Gehirnstruktur, wie Russell meinte. In dieser Beziehung stimmt die Esoterik auch mit den Lehren der Kirche überein: „Nun wissen wir aber, daß wir schon in diesem Leben unsere Materie im Lauf von etwa sieben Jahren immer wieder austauschen. Die Identität der Person zwischen diesem und dem künftigen Leben kann also nicht an der Identität der Materie hängen (119).“ Die realen Beweise für die Wahrheit dieser Lehre lassen sich nur durch eine okkulte Entwicklung des Menschen erbringen, wovon noch die Rede sein wird.

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