Motschmann + Richter

 
   

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Klaus Motschmann

Angst als Waffe

Hänssler, 1984

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„In der Tat, so ist es - zur Zeit. Viele Veröffentlichungenvermitteln viele Erkenntnisse (und Ängste!), aber nicht die Erkenntnis, auf die es zum Verständnisund zur Bewältigung der Ängste unserer Zeitallein ankommt: die »Hauptsumme aller Lehre«, auf die uns das Schlußkapitel des Predigers Salomo hinweist:»Fürchte Gott und halte seine Gebote« 12,13). Daran will dieses Büchlein erinnern - in erklärtemWiderspruch zum modischen »Mut zur Angst«.” <S. 10>

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„Darum protestieren wir gegen das Geschäft mit derAngst. Wir wenden uns dabei vor allem an die Christen in diesem Land. Das hat zwei Gründe.Einmal: Viele von uns sind selbst Christen. Und wir meinen, der Glaube und die Angst schließen einanderaus. Gerade die Christen müßten also den Angstmachern entgegentreten. Zum anderen: Seltsamerweise ist es fast umgekehrt.Die Angstmacher wenden sich mit Vorliebe an die Christen. Und es scheint, daß sie dabei Erfolg haben. Das darf man nicht hinnehmen. <S. 12>

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Heute: »Angst machen ist notwendig« Wer keine Angst hat, hat „offenbart ein mangelhaft ausgeprägtes Problem- und Verantwortungsbewusstsein. Er gilt als abgestumpft oder als Dummkopf.”

            „Man fühlt sich lebhaft an das Märchen von des Kaisers neuen Kleidern erinnert, in dem jeder für dumm erklärt wurde, der die fiktiven neuen Gewänder des Kaisers nicht zu sehen vermochte. Heute wird jeder für dumm erklärt, der die Grauschleier nicht anerkennt, die von der sog. kritischen Intelligenz über der politischen Landschaft der Bundesrepublik ausgebreitet werden und die eine ganzjährige Karfreitagsstimmung erzeugen sollen. So erklärt sich einerseits die Entstehung der»Schweigespirale«, mit der Elisabeth Noelle-Neumann das Verhalten der Mehrheit unseres Volkes gegenüber einer Minderheit von Angstmachern charakterisiert hat; so erklärt sich andererseits die geradezu epidemische Ausbreitung der Angst-Ideologie in weitenTeilen unseres Volkes, namentlich der Jugend. Unter der Parole »Mut zur Angst« können heute »professionelle Angst- und Panikmacher« - so das Selbstverständnis des Schriftstellers Günther Anders - öffentlich dazu aufrufen, »die Angst im Volke wachzuhalten« - so der Philosoph Michael Theunissen, der 1972 noch das Votum »Wider das Geschäft mit der Angst« unterschrieben hatte.” <S.15+16>

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„Es sollte jedenfalls zu denken geben, daß weder in den sozialistischen noch in den westlichen Staaten Europas die Angst ein derartiges Ausmaß (sollte man nicht sagen: beängstigendes Ausmaß?) erreicht hat wie in der Bundesrepublik Deutschland. Dieser Sachverhalt kann sicher nicht mit der arroganten Behauptung eines mangelhaften Problembewußtseins in diesenNationen erklärt werden, sondern allein daraus, daß die Angst bei uns - nach dem offenen Eingeständnis maßgebender Intellektueller - in volkspädagogischem Sinne systematisch erzeugt worden ist und als »einziger Ratgeber« zur Abkehr von der drohendenKatastrophe verstanden wird (Günther Anders).” <S. 19>

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„Und ein Letztes (oder besser: das Letzte?): Um bei gewalttätigen Demonstranten keine Angst vor einer strafrechtlichen Verfolgung aufkommen zu lassen, gestattet ihnen das »System« die Vermummung.” <S..37>

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Die Angst vor einer (möglichen) Katastrophe kann aber zur gleichen Zeit die genau gegenteiligen Reaktionen im politischen und gesellschaftlichen Verhalten eines Volkes auslösen: die sog. Angst-Starre. Sie lähmt die Entschlußkraft und die Abwehrbereitschaft wie beim Kaninchen angesichts der Schlange und läßt nicht nur einzelne Menschen, sondern ganze Gruppen in Apathie verfallen. <S.43>

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Man sollte über diese Ausführungen Karl Barths sehr intensiv nachdenken:-

- Es gibt etwas Schlimmeres als Sterben und Töten: das freiwillige Ja-Sagen zu der Schande der Herrschaft des Antichrist.

- Der Friede um jeden Preis kann eine tief unmenschliche und unchristliche Angelegenheit sein. <S.46>

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Kann man wirklich behaupten, daß sich die evangelische Kirche in der gebotenen Entschiedenheit gegen die »professionellen Angstmacher« stellt, von denen eingangs die Rede war? Kommen sie nicht vielmehr aus der Kirche hervor? <S.51>

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Horst-Eberhard Richter

„Umgang mit Angst”


Angst ist zugleich Gefühl wie Wahrnehmung, Erleiden wie Antrieb, Rückzug oder soziale Anteilnahme, Feigheit oder Mut - je nachdem als Verdrängung oder Annahme der Idee des Todes. Täglich wird der Umgang mit Angst auf die Probe gestellt - durch innere oder soziale Konflikte, gesundheitliche, wirtschaftliche, auch politische Bedrohungen. <S. 15>

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Vielleicht ahnte Nietzsche bereits, daß es einst einen großen Katalog von Psychopharmaka geben würde, mit denen sich inzwischen wachsende Volksmassen vor Angst, Leiden und Verstimmungen zu schützen versuchen. In unserer modernen Wohlstandskultur herrscht eine neue Moral. Es ist die Okay-Moral. Man will nicht mehr erschrecken, sowie man andere nicht mehr erschrecken darf. <S. 19*>

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„Bei oberflächlicher Betrachtung hat es den Anschein, als sei Todesangst für die heutige westliche Gesellschaft kein Themamehr. Der Freud-Schüler K. R. Eisler schreibt: »Seit dem Anfang() des 19. Jahrhunderts sind die Menschen nicht mehr geneigt, über den Tod nachzudenken. Das Thema paßt nicht zu einer Gesellschaft, die durch einen gewaltigen Sprung nach vorn in Wissenschaft und Technologie geblendet ist und an den allgemeinen Fortschritt glaubt.« Wer sich ohne besonderen erkennbaren Anlaß über den eigenen Tod augenfällig ängstigt, wird zum klinischen Fall. Einst war der Seelsorger der übliche Trostspender. Mit ihm redete man im Zusammenhang mit quälenden Todesgedanken über Gnadenverheißung und Erlösung. Heute pflegt es den Geängstigten zum Psychiater oder Psychotherapeuten zu treiben. Der wird ihm vermutlich eine depressive Reaktion attestieren und ihm ein Antidepressivum verschreiben oder ihm zu einerPsychotherapie raten. Die Krankenkasse bezahlt.” <S. 26>

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„Das Bemühen der Allgemeinheit, die Todesidee vom Bewusstsein fernzuhalten, führt bis zur Tabuisierung der Trauer. Wie das geschieht, hat Philippe Aries in seiner «Geschichte des Todes« plastisch beschrieben. »Die öffentliche Zurschaustellung der Trauer gilt als morbide, desgleichen ihr allzu beharrlicher und allzu langer privater Ausdruck. Die Tränenkrise wird zur Nervenkrise. Die Trauer ist eine Krankheit. Wer sie zeigt, legt eine Charakterschwäche an den Tag. Die Ablehnung des Todes hat sich, über die Person des Leidtragenden und den Ausdruck der Trauer hinaus, auf alles ausgedehnt, was mit dem Tode zusammenhängt und von ihm infiziert wird. Die Trauer oder das, was ihr ähnlich sieht, gilt heute geradezu als ansteckende Krankheit, die man sich im Zimmer eines Sterbenden oder Toten zuzuziehen droht, selbst wenn er einem nicht viel bedeutet ... Es gibt Orte, an denen man sich die Trauer holt wie anderswo die Grippe.«Zur Selbstbeschwichtigung erklärt man den Tod als unnötige Panne: Wer stirbt, hat falsch oder zu viel gegessen, hat geraucht oder unmäßig getrunken, sich zu wenig bewegt oder zu viel gearbeitet, sich unnötig gegrämt, zu viel aufgeregt, nicht autogentrainiert, keine Kondome benutzt, zu wenig positiv gedacht oder er ist Opfer falscher Medikamente, schlechter Ärzte oder eines blöden Unfalls. Der Tod darf alles sein, nur nicht unvermeidbar.” <S. 28>

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„In langer Tradition war das Leben vom Tod begleitet. Man dachte an ihn, bildete ihn ab, akzeptierte ihn als Bestandteil des Lebens, bis man ihn im 19. und vollends im 20. Jahrhundert ausbürgerte. Man wollte nicht länger lernen, mit der Todesidee, sondern ohne sie zu leben. Sinnvoll und legitim gilt neuerdings die sonderbare Frage: Ist denn überhaupt bewiesen, daß es eine für den wissenschaftlichen Fortschritt unüberwindbare natürliche Lebensgrenze gibt? Weiß man denn genau, ob die biologischen Alterungsprozesse sich nicht eines Tages ebenso werden entschlüsseln und beeinflussen lassen wie neuerdings die Erbsubstanz? Immerhin schrieb selbst der vorsichtige Sigmund Freud in seinem Aufsatz über »Das Unheimliche« (1919): »Unsere Biologie hat es noch nicht entscheiden können; ob der Tod das notwendige Schicksal jedes Lebewesens oder nur ein regelmäßiger, vielleicht aber vermeidlicher Zufall innerhalb des Lebens ist.«” <S. 29>

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„So verwandelt sich die Medizin Schritt für Schritt in eine gewaltige Kriegsmaschine, gejagt von den Riesenerwartungen der leidensunfähigen Okay-Gesellschaft. Die Ärzte geraten in einen fatalen Zweifrontenkampf. Auf der einen Seite lauert der unbedingt zu besiegende, letztlich unüberwindbare Gegner Tod, auf der anderen Seite sehen sie sich durch eine vom Mythos des medizinischen Endsieges geblendete Gesellschaft, repräsentiert durch ihre Patienten, unter äußersten Druck gesetzt.” <S. 30>

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„Der Projektion auf Teufel und Hexen in der Außenwelt entsprach in der Innenweit die Furcht vor dem jüngsten Gericht. Ab dem 14. Jahrhundert vermehrten sich an Kirchenwänden und auf Altarbildern die Darstellungen des Jüngsten Gerichts mit besonderer Hervorhebung der Verdammten und der Höllenfahrt. Die Todesangst wurde, psychoanalytisch ausgedrückt, mit Hilfe der Höllenfurcht abgewehrt. Nicht zu sterben - die Tatsache an sich war schlimm, sondern in die Verdammnis zu stürzen. Hatte der Kirchenvater Augustin einst gelehrt, es sei einzig eine göttliche Vorherbestimmung, wer dem Reich des Lichts und der Gnadezugeführt und wer der gnadenlosen Finsternis verfallen werde, so stellte die Kirche jetzt in Aussicht, daß der einzelne selbst für seinSeelenheil durch Abkehr vom Bösen, durch Bekennen und Bußesorgen könne.” <S. 35>

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„Mancher mag denken, das sei ein Streit um Worte. Aber es geht um weit mehr. Niemals zuvor in der abendländischen Geschichte ist das Sterben so mitleidlos ausgegrenzt worden wie heute. Die Ausbürgerung des Todes, wie sie Aries nennt, geschieht allerdings nicht aus Sadismus, auch nicht vorwiegend aus egoistischen Bequemlichkeitswünschen, sondern zuallererst aus einer tiefen, unbewältigten Angst. Unbewußt verleugnet man den Tod als unumgängliches Schicksal - und tröstet sich mit den täglichen Meldungen über zufällige Todesarten durch spezielleKrankheiten, Unfälle, Katastrophen, Morde, als widerlegten diese die kreatürliche Sterblichkeit. Um so schwerer fällt es, natürliches Sterben in der Nähe zu begleiten - eine der anspruchsvollsten menschlichen Aufgaben, der nur eine Minderheit gewachsen ist, die den Gedanken an den eigenen Tod zu ertragen gelernt hat. Wer dies nicht gelernt hat - heute die Mehrheit -, will sich möglichst der Bedrohung seiner Verdrängung nicht aussetzen, will möglichst nicht sehen, worauf auch das eigene Leben irgendwann zusteuert.

            Es ist die Angst, die wahres Mitleid verweigern läßt. Aber dies bringt in Konflikt mit dem Bedürfnis nach moralischer Selbstachtung, Soziale Rücksichtnahme, Hilfsbereitschaft, Solidarität sind entscheidende Stützen des allgemeinen Selbstwertbewußtseins. Also drängt sich die Versuchung auf, die Mitleidsunfähigkeit rationalisierend umzudeuten. Kann man sagen, daß Mitleid eher gefährlich sei, daß es gar die Quelle von Tötungsimpulsen zu werden vermöge, erscheint die heute weitverbreitete Gefühlsverhärtung moralisch rehabilitiert: Dann wäre es ja geradezu geboten, sich vor Mitleid zu schützen, denn wie leicht könne es angeblich den Kopf verwirren und sogar schlimmeres Unheilanrichten.” <S. 51-52>

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„Wenn sie sich nicht drücken konnten, entwickelten solche Soldaten in beiden Weltkriegen sogenannte «Kriegsneurosen«. Als Gründe führte Sigmund Freud (in seinem »Gutachten über die elektrische Behandlung der Kriegsneurotiker«, 1920) auf: Angst um das eigene Leben, Sträuben gegen den Auftrag, andere zu töten, dazu mitunter Auflehnung gegen unterdrückende Vorgesetzte. Das häufigste Symptom der Kriegsneurotiker im Ersten Weltkrieg war heftiges Zittern. Es bildete sich ein regelrechtes Heer von »Kriegszitterern«. Deutlicher hätten die Befallenen ihre Angst nicht ausdrücken können. Dennoch vermochten sie nicht zu sagen, was ihr Körper vermittelte. Den Militärärzten wußten sie ihr Schlottern nicht zu erklären. Die Kriegspsychiater reagierten zwiespältig,” <S. 63>

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„Natürlich ist Angst ebensowenig schlechthin förderlich wie schlechthin unheilvoll. Es gibt mutige und feige, sehende und blinde, weise und törichte, gesunde und in hohem Maße krankhafteAngst. Es gibt Angst auf sehr verschiedenen Ebenen, im Licht des Bewußtseins wie im Dunkel des Unbewußten. Oberflächliche Angstfreiheit kann Flucht vor einer sehr tiefen und großen Angst sein.” <S.71>

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„Wenn man bei solchen Angstanfällen nun niemals eine Anomalie am Herzen fand, verwundert es schließlich doch, daß man imKrankheitsnamen an der Beschuldigung des Herzens zunächst zäh festhielt. Aber wer dieses Angstleiden kennt - Dieter Beckmannund der Verfasser haben es eingehend erforscht und ihm eine Monographie gewidmet -, weiß, daß die Ärzte hierbei den Leidenden nicht eine Deutung oktroyieren, sondern daß diese jenen zuzustimmen bereit sind. Die Patienten selbst neigen spontan dazu, ihr Herz für ihre Angst verantwortlich zu machen.Was sie erleben, ist eine sie überwältigende grauenhafte Todesangst. Aber diese lokalisieren sie im Herzen und fürchten, dieses werde versagen. Im Augenblick oder in allernächster Zukunft drohe ein tödlicher Infarkt, dessen glauben sie gewiß zu sein. Inzwischen weiß man genau, daß diese von Stokes, Oppolzer und seitdem von vielen anderen beschriebenen Panikzustände auf keine körperliche Ursache zurückgehen, insbesondere nichts mit einer Störung am Herzen zu tun haben, daß sie vielmehr reine Angstmanifestationen sind, die mit keinen anderen körperlichen Erscheinungen als denen einhergehen, die man etwa auch bei jedem hochgradigen Lampenfieber feststellen kann: Auch dabei kommt es zu starkem Herzklopfen bis zu Herzrasen, Schwitzen, Beklemmungsgefühlen, Mundtrockenheit, gesteigerter Atmung, mitunter Zittern und Schwindelgefühlen. ...Das heißt: Das Herz hat nur als Ausdrucksorgan und Projektionsobjekt der Angst mit den Beschwerden zu tun, im übrigen ist es unschuldig.” <S. 75-76>

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„Benennen, einteilen, quantifizieren - jeder sieht, daß man damit nicht die Angst, nicht einmal ihre Außenseite erfaßt, dass diese sogenannte Angstforschung vielmehr zwar akademisch anerkannt sein mag, aber lediglich ein methodisches Aufbereiten eines Nichtwissens, eines Nicht-wissen-Wollens darstellt. Das wissenschaftliche Anschleichen an die Angst ähnelt dem Umgang mit einer gefährlichen Substanz, von der man eigentlich nur herausbekommen will, wie man sie am elegantesten loswerden kann. Was die Okay-Gesellschaft sucht, ist eine perfekte Angstentsorgungsstrategie, notfalls mit Trainingsmethoden, besser weil bequemer - mit Chemie oder Chirurgie. Anxiolytika, chemische Angstlöser, sind die Antwort der Pharmaindustrie. Aber ach, keiner dieser »Angstlöser« mindert nur die Angst. Alle wirken allgemein dämpfend, abstumpfend. Sie hemmen genauso freudige Erregung, Zorn, Liebesleidenschaft. Immerhin wurden bereits in der alten Bundesrepublik jährlich mehr als eine Milliarde, in Österreich 70 Millionen Beruhigungspillen geschluckt (K. Langbein, H. P. Martin, P. Sichrovsky, H. Weiss). Indessen mag manchen die allgemeine Abstumpfungswirkung gar nicht so unwillkommen sein. Viele andere warten jedoch immer nochvergeblich auf das Zaubermittel, das sie ausschließlich von ihrer Angst, nicht aber zugleich von ihrer Frische und Lebendigkeit befreit - als sei die Angst ein isolierter Defekt wie die Überproduktion einer Drüse und nicht in die Ganzheit des Lebens integriert.” <S. 83+84>

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„Aids-Paranoid: Von einem regelrechten Aids-Paranoid ist zusprechen, wenn sich die Ansteckungsangst in stärkerem Grad mit Haß auf die Infektionsträger und die sogenannten Risikogruppen-mischt. Das Böse wird von den Viren auf ihre»Verbreiter« verschoben. Homosexuelle, Prostituierte, Drogenabhängige werden zu einem Feindbild verschmolzen. Der neu geschaffene Begriff »Verbreiter« läßt an Täter denken. Anstelle des vorläufig unbesiegbaren Virus hat man es nun mit ohnehin stigmatisierten Minderheitsgruppen zu tun, gegen die man zu Felde ziehen kann.” <S. 171>

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„Dazu gehört zunächst einmal aber der Mut einzusehen, dass dieses vereinigte Deutschland endlich lernen muß, sich selbst zu definieren, anstatt Washington auf alle Zeit für sich denken zu lassen. Wir sind nicht mehr Blockstaat, gefährdeter NATO-Vorposten, auf Gedeih und Verderb vom großen Beschützer abhängig. Loyal in den großen internationalen Organisationen mitzuwirken verlangt künftig mehr als die gefällige Anpassung, wie sie der Kanzler, entsprechend der Voraussage seines Vorgängers, bisher getreulich geübt hat. Eigenes kritisches Nachdenken ist gefordert darüber, in welchem Sinn diese Rolle konstruktiv auszufüllen sein wird.” <S. 275>

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„Deutlicher als allen anderen muß uns Ärzten heute bewusst sein, daß die Völker in allen Teilen der Welt in ihrer Gesundheit immer stärker voneinander abhängen. Medizinische Prävention ist, wo auch immer, aufs engste mit der Herbeiführung einer globalen Ökologie- und Friedenspolitik verbunden. Diese wiederum wird sich nicht einstellen durch Perfektionierung der künstlichen Computerintelligenz, sondern, wenn überhaupt, durch eine große moralische Erneuerungsbewegung in den Völkern.Es war ein großer Arzt, der die Prinzipien einer hierfür notwendigen Ethik formuliert hat, nämlich Albert Schweitzer mit seiner berühmten, aber oft schon wieder fast vergessenen »Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben«. Man sagt, das Hoffen auf den Einfluß einer solchen Ethik sei eine schöne, aber unrealistische Utopie. Dem halte ich entgegen: Es ist vielmehr eine Utopie zu glauben, daß es ein längerfristiges Überleben gibt, wenn wir einfach nur so weitermachen wie bisher.” <S. 291>

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